Robert Hartings Bruder Christoph leistet sich einen bizarren Auftritt und zeigt späte Reue

Erst Diskus-Gold, dann Mattscheibe

Erst der Gold-Coup im Diskusring, dann eine weitere Überraschung – negativer Art: Christoph Harting strapazierte mit seinem Auftritt viele Nerven.

15.08.2016

Von WOLFGANG SCHEERER

Jeder feierte die Medaille auf seine Art (von links): Piotr Malachowski, Christoph Harting und Daniel Jasinski. Foto: afp

Jeder feierte die Medaille auf seine Art (von links): Piotr Malachowski, Christoph Harting und Daniel Jasinski. Foto: afp

Rio de Janeiro. Es ist wahrscheinlich eine der skurrilsten Geschichten dieser Olympischen Spiele, auf jeden Fall aus deutscher Sicht: Erst fährt es Titelverteidiger Robert Harting bei einer Art Kung-fu-Tritt gegen den Lichtschalter so sehr ins Kreuz, dass er nach unruhiger Nacht schon in der Diskus-Qualifikation scheitert. Dann trumpft dafür sein jüngerer Bruder Christoph mächtig auf, holt seinerseits die Goldmedaille, verspielt wenig später aber mit einem verstörenden Auftritt gleich wieder viele neu gewonnene Sympathien. Die Hartings sind jetzt nicht nur die einzige deutsche Familie mit zwei Diskus-Olympiasiegern, zum ersten Mal überhaupt haben Brüder in der gleichen Leichtathletik-Disziplin Gold gewonnen. Aber nicht dieses Kuriosum ist der Punkt, über den aktuell viel geredet wird.

Vier Jahre nach Robert, inzwischen 31 und damit voraussichtlich bei seinen dritten und letzten Olympischen Spielen, feierte der sechs Jahre jüngere Christoph den größten möglichen Erfolg in dieser Wurfdisziplin mit der Zwei-Kilo-Scheibe.

Feierte? Am Wie scheiden sich die Geister: Die sozialen Netzwerke laufen heiß: „Doppelter Harting, doppelt blöd gelaufen“, ist nur ein Kommentar im Internet. Die Aufwallung ist so groß, weil sich der „kleine Harting“ auf dem Siegerpodest ziemlich seltsam aufgeführt hat. „Unwürdig“ ist noch eine der eher freundlicheren Ansichten, die über den Auftritt zu lesen sind.

Da stand Harting also oben, als die Hymne gespielt und die deutsche Fahne aufgezogen wurde, hampelte und schunkelte herum, verschränkte die Arme, pfiff ein bisschen nebenher zum Deutschlandlied und bückte sich zwischendurch auch mal, um (wie er später sagte) eine Figur aufzuheben, die er geschenkt bekommen hatte, und die ihm entglitten war. Entglitten wie so vieles andere auch am zweiten Tag der Leichtathletik-Wettkämpfe im Olympiastadion. Selbst der Berliner Heimtrainer Torsten Lonnförs hatte Mühe, mit dieser Harting-Show umzugehen: „Keine Ahnung, was das sollte. Ich verstehe es nicht. Christoph muss aufpassen, dass er jetzt nicht frei dreht“, ließ er sich zitieren. Das Kopfschütteln dazu kann man sich lebhaft vorstellen.

Der Olympiasieger selbst hatte das Sportliche, seinen Siegeswurf auf 68,37 Meter im letzten Versuch, nicht nur dadurch zur Nebensache degradiert. Er verweigerte auch dem übertragenden ZDF das obligatorische Interview, ließ andere Journalisten einfach stehen und zeigte sich in der olympischen Pflicht-Pressekonferenz trotzig bis rotzig. „Ich habe in der Vergangenheit mit den Medien schlechte Erfahrungen gemacht“, behauptete Harting und fügte hinzu: „Kurzes Statement von mir: Ich bin Sportler und verstehe mich auch als solcher. Ich bin nicht der Medien-Hengst, ich suche nicht die Öffentlichkeit. Ich genieße den Wettkampf, ich genieße die Bühne dort. Alles andere überlasse ich denen, die mehr sagen wollen.“

Er redete dann doch noch eine Weile weiter, aber eigentlich war alles Wesentliche gesagt.

Der ältere Bruder Robert gilt als großer Anführer der deutschen Leichtathleten. Er ist unumschränkter Team-Kapitän und scheut kein kritisches Wort, wenn er es für nötig hält. Er ist ein Typ, der den deutschen Sport bereichert, auch wenn er oft unbequem ist. Weil das IOC die Russen nach den Berichten über Staatsdoping nicht komplett von Olympia ausgeschlossen hat, polterte Harting: „Ich schäme mich für IOC-Präsident Thomas Bach.“

Dass sich viele Zuschauer nach dieser Goldmedaille für seinen Bruder vielleicht nicht geschämt haben, offenbar aber peinlich berührt waren, dazu gab?s von Tribünengast Robert Harting keine Reaktion. Welche Konsequenzen das unprofessionelle Verhalten seines Bruders haben wird? Ebenfalls: keine. Michael Vesper, der deutsche Chef de Mission bei Olympia, nannte es allerdings „nicht gut“, was Harting da aufgeführt hat. „Er ist Teil unserer Mannschaft und Botschafter unseres Landes. Wenn er die Bilder sieht, wird er das sicher einsehen.“ Das tat Christoph Harting dann auch prompt und entschuldigte sich bei einem Auftritt im Deutschen Haus „bei allen, die sich auf den Schlips getreten fühlen. Ich hätte mit den Dingen vielleicht etwas anders umgehen können.“

Wie ein professionelles Statement klingen kann, demonstrierte Bronzemedaillen-Gewinner Daniel Jasinski vom TV Wattenscheid 01: „Ich freue mich riesig, das war der beste Wettkampf meines Lebens – auf den Punkt. Ich habe einfach mein Ding gemacht. Ich hatte gut trainiert und wusste, dass ich gut werfen kann.“ Der 27-Jährige war mit 67,05 Metern hinter Harting und dem polnischen Weltmeister Piotr Malachowski (67,55) Dritter geworden. Das war die uneingeschränkt schöne Überraschung eines denkwürdigen Diskuswettkampfes.

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Erstellt:
15.08.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 15.08.2016, 06:00 Uhr

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