Für eine andere Welt

Ernst-Bloch-Chor mit utopischem Konzert

„Unruhe und Wachtraum“ heißt das aktuelle Programm des Tübinger Ernst-Bloch-Chors. In über 20 Stücken thematisieren die Sängerinnen und Sänger die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt mit Bezug auf Ernst Blochs Werk „Geist der Utopie“. Am Freitag sang der Chor für rund 80 Gäste im Gomaringer Schlosshof.

04.07.2016

Segel in eine andere Welt: der Ernst-Bloch-Chor in Gomaringen. Bild: Reiling

Segel in eine andere Welt: der Ernst-Bloch-Chor in Gomaringen. Bild: Reiling

Gomaringen. Ein großes blaues Segel ziert das Cover des aktuellen Programmheftes des Bloch-Chors. Als literarisches Symbol markieren die gehissten Segel eines Schiffes schon seit jeher ein Moment der Freiheit, des Aufbruchs und der Veränderung. In der Traumdeutung versinnbildlicht das Segel den Entschluss, vorhandene Energien in der Wachwelt sinnvoll einzusetzen. Wie überaus passend kamen da Rio Reisers Zeilen „Wann, wenn nicht jetzt? – Wer, wenn nicht wir?“ daher, mit denen der Chor sein Konzert eröffnete. Der programmatische Charakter der folgenden Stücke war damit schon zu Beginn absehbar: Von Freiheit und Menschenrechten bis Nachhaltigkeit und Konsumkritik war alles dabei – stets im Hinblick auf den von Bloch geprägten Begriff der Konkreten Utopie im Sinne einer real möglichen Gesellschaftsveränderung.

Etwa die Hälfte der Stücke besteht aus Texten, die Chormitglieder und befreundete Musiker speziell für das Programm geschrieben haben. Die Vertonungen und Kompositionen stammen größtenteils aus der Feder von Chorleiterin Anne Tübinger. Ihre Melodien wirkten beinahe durchweg als Katalysator des textlich Dargebotenen: Wie „atlantis, platons traum, versank in einer nacht“, so tief und dunkel sank der Chor als Klangkörper mit unters Wasser, nur um gleich darauf dramatisch und aufgewühlt wieder aufzutauchen, als es in dem Stück „kleine utopie“ um den Sturm auf die Bastille ging. Die unmittelbare Verbundenheit von Melodie, Harmonie, Text und Aussage, teils in tonmalerischer Manier, zog sich durch das gesamte Programm. Hinzu kamen die wirksamen Choreografien der Sängerinnen und Sänger in ihren bunten Hemden – immer wieder wechselten sie ihre Positionen, traten auf das Publikum zu, formierten sich zu einer militärisch anmutenden Truppe oder trugen schwarze Handschuhe, wie bei „Clandestino“.

Die Atmosphäre im Schlosshof schien sich dem Programm des Chors beinahe magisch anzuschmiegen. „Orange and green, united now“ heißt es in dem irischen Stück „Across the bridge of hope“, geschrieben von dem 12-jährigen Shaun McLaughlin, der durch ein Autobombenattentat in Nordirland ums Leben kam. Als hätte noch jemand was hinzuzufügen, schien während dem Lied die orangefarbene Abendsonne wie zum Gruß auf die grünen Fensterverschläge der Schlossfassade. Ähnliches passierte im Stück „Stell Dir vor“, in dem es um die Abhängigkeit der Gesellschaft von Produktivität im Sinne der Zeit-ist-Geld-Mentalität geht. Kaum setzte der Chor zum Singen an, schlugen auch schon die Glocken im Gomaringer Kirchenturm, um die vergangene Viertelstunde zu markieren.

Es waren jedoch nicht nur diese Momente, die das Konzert zu einem gelungen Abend machten. Die außerordentlich klare und spitze Artikulation der Sängerinnen und Sänger, auch in rasend schnell gesungenen Passagen, die affektvollen Melodien und die darin transportierten Botschaften wirkten mindestens ebenso stark. So verließ man den Gomaringer Schlosshof keineswegs nur zufrieden und bettreif, sondern aufgeweckt und bereit für Veränderungen. „Aber Unruhe und Wachtraum sind das Segel in eine andere Welt“, wie Bloch schrieb.tri