Ammerbuch · Archäologie

Neue Erkenntnisse zur frühen Jungsteinzeit bei Pfäffingen

Arbeiten in Ammerbuch bringen Gräben und Bestattungen aus dem 6. Jahrtausend vor Christus ans Licht.

11.10.2019

Von ST

Bestattung einer 30- bis 40-jährigen Frau aus der frühen Jungsteinzeit, die in linksseitiger Hockerlage beigesetzt wurde. Bild: L. Brandtstätter/Uni Tübingen, LAD

Bestattung einer 30- bis 40-jährigen Frau aus der frühen Jungsteinzeit, die in linksseitiger Hockerlage beigesetzt wurde. Bild: L. Brandtstätter/Uni Tübingen, LAD

Bei Forschungsgrabungen des Landesamts für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart und der Universität Tübingen wurden im Bereich einer großen Siedlung der ältesten bäuerlichen Kultur in Mitteleuropa (Linearbandkeramik, 2. Hälfte 6. Jahrtausend vor Christus) bei Pfäffingen neue Siedlungsstrukturen aufgedeckt. Das teilt das RP in einer Pressemitteilung mit.

Aktuelle naturwissenschaftliche Analysen der bei den Ausgrabungen gewonnenen Funde geben neue Einblicke zum Beginn von Ackerbau und Viehzucht in Südwestdeutschland. Die damit verbundene sesshafte Lebensweise bietet die Grundlage für die Entwicklung einschneidender neuartiger Kulturtechniken, die unser heutiges Leben prägen, darunter die Keramik- und Textilproduktion sowie schließlich auch die Entwicklung von Rad und Wagen in einem späteren Stadium der Jungsteinzeit (Neolithikum).

Auf der Basis geomagnetischer Messungen wurde in der Flur „Lüsse“ am nordwestlichen Ortsrand von Pfäffingen erstmals ein Grabensystem identifiziert, welches während einer frühen Phase große Teile einer jungsteinzeitlichen Siedlung umgab. Derartige Siedlungsumfassungen sind zwar typisch für neolithische Siedlungen, waren aber bislang im Neckarraum noch nicht nachweisbar.

Die Tote trug eine Halskette


Durch die laufenden archäologischen Grabungen, die unter der Leitung von Prof. Raiko Krauß (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters Uni Tübingen) und Jörg Bofinger vom LAD durchgeführt werden, konnte die Anlage eines Grabens bereits auf Beginn des 53. Jahrhunderts vor Christus bestimmt werden. Die Verfüllung dieser Siedlungsumfassung mit dem Schutt von abgebrannten Häusern und mit großen Mengen verkohlter Getreidekörner, in erster Linie Emmer und Einkorn, deuten auf ein einschneidendes Ereignis während der frühen Phase des neolithischen Dorfes hin.

Im Laufe des 52. Jahrhunderts vor Christus wurde das Siedlungsareal dann offenbar auch als Bestattungsplatz genutzt. Bereits bei den Grabungen im Vorjahr konnte das Grab eines drei bis vier-jährigen Mädchens identifiziert werden, das in einer Nische innerhalb des Grabens in Hockerlage bestattet worden ist. Aus der Verfüllung des Grabens stammt auch der Schädel einer weiteren Person. Während der Grabungskampagne im Frühjahr dieses Jahres wurde nun das Grab einer Frau, die im Alter von 30 bis 40 Jahren verstorben ist, entdeckt und dokumentiert. Aufgrund von Radiokarbonmessungen kann das Alter dieser Bestattung nun ebenfalls in das 52. Jahrhundert vor Christus eingeordnet werden.

Kalksteinperlen einer Kette, die im Halsbereich der Toten gefunden wurde. Bild: M. Korolnik, Uni Tübingen

Kalksteinperlen einer Kette, die im Halsbereich der Toten gefunden wurde. Bild: M. Korolnik, Uni Tübingen

Die Tote trug am Hals eine Kette aus 16 kleinen, doppelkonischen marmorartigen Kalksteinperlen, die in dieser Form aus der frühen Jungsteinzeit in Süddeutschland bislang nicht bekannt waren und die hohe Kunstfertigkeit und Sorgfalt bei der Schmuckherstellung belegen. Großräumig lassen sich diese Perlen allerdings mit Funden aus dem Karpatenbecken und dem Balkanraum vergleichen, also denjenigen Gebieten, aus denen die ersten Bauern mit ihren Haustieren und Kulturpflanzen nach Mitteleuropa eingewandert sind.

Dass der Prozess des Sesshaftwerdens in Mitteleuropa zum Großteil auf die Einwanderung einer neuen Bevölkerungsgruppe zurückzuführen ist, bestätigen genetische Analysen am menschlichen Skelettmaterial. Welche Rolle der einheimischen, mesolithischen Bevölkerung zukam, die nachweislich noch sehr lange in der Region als Jäger und Sammler lebten, ohne allerdings die neuartige Wirtschaftsweise zu übernehmen, wird Gegenstand der weiteren Untersuchungen im Umfeld der jungsteinzeitlichen Siedlung sein.

Von den neolithischen Siedlungsresten wurde eine Serie neuer Radiokarbon-Datierungen (14C) erstellt, die zusammen mit der Auswertung des Fundmaterials die Grundlage für ein Entwicklungsmodell der Besiedlungsabfolge in der Region bietet. Die Rekonstruktion der Siedlungsgeschichte der ersten sesshaften Bevölkerungsgruppen im Oberen Neckar- und im Ammertal steht beispielhaft für die Neolithisierung Mitteleuropas.

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Erstellt:
11.10.2019, 16:11 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 11.10.2019, 16:11 Uhr

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