„Er war ein großartiger Arzt“

Sauerbruch 1943: Zweite Staffel von „Charité“ startet

In der zweiten Staffel von „Charité“ spielt Ulrich Noethen den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. Im Jahr 1943 geht es um die Verstrickungen der Mediziner in die NS-Verbrechen.

19.02.2019

Von Cornelia Wystrichowski

Prof. Sauerbruch (Ulrich Noethen, l.) und Martin Gruber (Jacob Matschenz, r.) kümmern sich um einen Schwerverletzten. Foto: ARD/Julie Vrabelova

Prof. Sauerbruch (Ulrich Noethen, l.) und Martin Gruber (Jacob Matschenz, r.) kümmern sich um einen Schwerverletzten. Foto: ARD/Julie Vrabelova

Berlin. Millionen Zuschauer fieberten 2017 bei „Charité“ mit, jetzt schlägt die Kliniksaga ein neues Kapitel auf: War die erste Staffel noch im Berlin des Jahres 1888 angesiedelt, springt die Fortsetzung nun ins Jahr 1943. Im Mittelpunkt steht der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, gespielt von Ulrich Noethen.

Die neuen Folgen spielen 1943 bis 1945 und drehen sich um die Verstrickung der Mediziner in die Nazi-Verbrechen. Ist dieses Kapitel deutscher Geschichte bislang im Fernsehen zu wenig beachtet worden?

Ulrich Noethen: So gesehen ist die Verstrickung von vielen Berufszweigen zu kurz gekommen. Die Aufarbeitung der Nazizeit ist ja ein langer Prozess, und es hat sich da etwas gewandelt. Jetzt schaut man spezifischer hin, aber je genauer man hinschaut, desto unschärfer wird das Bild. Man stößt in Bereiche vor, wo man oft nicht eindeutig sagen kann, ob man über einen Menschen den Stab brechen will oder nicht, es sei denn man hat ein sehr strenges Regelwerk.

Was hat Sie an der Figur des Ferdinand Sauerbruch gereizt?

Wesentlich für meine Auseinandersetzung mit Sauerbruch war die Frage: Wer ist denn dieser Mann und was hat er gemacht? Da muss man einfach nur mal den Wikipedia-Eintrag lesen, dann merkt man, dass man diese Figur nicht wirklich zu fassen kriegt. Er war zwar dabei, er hat was gewusst, und er war ein Aushängeschild des Regimes. Er hat aber auch vieles richtig gemacht. Nur zu sagen, er war ein Mitläufer und hat sich schuldig gemacht, wäre zu schlicht.

Aber er soll ja zumindest wissentlich Versuche an Häftlingen in Kauf genommen haben.

In Kauf genommen durch Ausblenden. Es gibt keine „Smoking Gun“. Kein Dokument, das belegt, dass er in verantwortlicher Position aktiv etwas angeordnet hätte in Richtung Euthanasie. Aber was man sagen kann: Er muss partiell seine Empathie komplett ausgeschaltet haben. Wie ganz viele in dieser Zeit.

Andererseits hat er den Verschwörern um den Hitler-Attentäter Stauffenberg seine Villa zur Verfügung gestellt. Gehörte dazu nicht großer Mut?

Ich glaube, dass er sich für unersetzbar und unantastbar hielt in seiner Position und dachte, er muss seine Arbeit unbedingt weitermachen. Im Grunde hat er sich geweigert, sich um etwas anderes zu kümmern als um seinen Beruf, seine Berufung, und hat alles andere weggeschoben. Es gibt natürlich mehr, was gegen ihn spricht, aber auch viel, was für ihn spricht. Er war ein hervorragender Wissenschaftler, ein großartiger Arzt. Eine sehr ambivalente Figur, schwer zu beurteilen.

Die Frage ist ja immer, wie man sich selber verhalten hätte?

Da fängt es überhaupt erst an, spannend zu werden. Was mich beschäftigt ist dieses Abstellen von Empathie. Schlimme Sachen zu sehen und zu sagen: „Da kann ich jetzt auch nichts machen.“

Trotz aller Ambivalenz Sauerbruchs hat man den Eindruck, dass Sie mit enormer Spiellust an die Rolle herangegangen sind.

Abseits von Fragen rund rum ethische Verantwortung und Schuld wissen wir, dass Sauerbruch ein charismatischer Mensch war. Ein schwieriger Chef, ein Choleriker, begeisterungsfähig, humorvoll – eine schillernde Figur, und ihn zu spielen hat großen Spaß gemacht.

Wie schwierig war für Sie die starke äußere Verwandlung, die nötig war?

Als ich gefragt wurde, ob ich ihn spielen will, habe ich mir erst mal Fotografien angeschaut, und meine erste Reaktion drehte sich um das Äußere: „Das ist doch nicht euer Ernst?“ Die Maskenbildner sagten mir gleich, dass sie leider nicht mit angeklebten Haaren und Perücke tricksen können. Ich musste mir also tatsächlich diese Oberlippenbürste stehen lassen, außerdem wurden der Nacken und die Scheitelregion ausrasiert. Dann haben die Maskenbildner die langen Haare von der Seite über die Mitte geklatscht – ich habe mich nur noch mit Mütze auf die Straße getraut. Zum Glück haben wir in Prag gedreht, wo mich gar niemand kennt, und da habe ich bald gemerkt, dass sich erfreulicherweise keiner dafür interessiert, wie ich aussehe.

Sauerbruch war Chirurg. Haben Sie auch mit dem Skalpell geübt?

Ja, ich habe ein wenig mit dem Skalpell geübt. Ein Chirurg hat mir geholfen und ein paar Kniffe gezeigt, wir haben uns zusammen die Filme angeschaut, die es von Sauerbruch beim Operieren gibt, und er hat mir erklärt, was da eigentlich gerade geschieht. Sauerbruch war ja ein wahnsinnig guter Operateur und hat unglaublich schnell gearbeitet, zum Beispiel Klemmen gesetzt und Knoten gemacht.

Wissen Sie, ob es eine dritte „Charité“-Staffel geben wird?

Ja, es gibt Pläne, ich weiß aber nicht, ob es schon beschlossene Sache ist. Ich fände es gut. Charité ist ja nicht nur Sauerbruch.

Info Charité, Folge 1, heute 20.15 Uhr, ARD, im Anschluss (21.45 Uhr) folgt die Dokumentation „Die Charité – Medizin unterm Hakenkreuz“.

Der Hauptdarsteller

Der Charakterschauspieler Ulrich Noethen, 1959 in München geboren, absolvierte nach einem abgebrochenen Jura-Studium eine Schauspielausbildung in Stuttgart. Seinen Durchbruch hatte er 1997 im Kinofilm „Comedian Harmonists“, danach war er in vielbeachteten Produktionen wie „Der Untergang“, „Ein fliehendes Pferd“ oder „Henri 4“ zu sehen. Noethen war auch für die Rolle des Professor Boerne im „Tatort“ aus Münster vorgesehen, sagte aber aus Termingründen ab.

In der Krimireihe „Neben der Spur“ spielt Noethen seit 2014 die Hauptrolle. Er lebt mit der Schriftstellerin Alina Bronsky („Scherbenpark“) in Berlin.?ski