Friedhold Ulonska lässt sich nicht ausbooten

Seenotretter wäre gerade gern als Kapitän auf dem Mittelmeer, um Menschen zu retten

Der Mann war schon in Sicherheit. Mit etlichen anderen Geflüchteten hatte die Crew um Friedhold Ulonska ihn an Bord aufgenommen. Da tauchte neben dem privaten Rettungsschiff ein weiteres Boot auf, das die libysche Fahne als Gastflagge aufgezogen hatte. Schreiend stürzte sich der Mann über Bord.

12.07.2018

Von Uschi Hahn

10.07.2018 Friedhold Ulonska ist Kapitän auf Rettungsschiffen
© Video: Hans-Jörg Schweizer 13:58 min
Friedhold Ulonska ist Kapitän und immer wieder im Mittelmeer auf Seenot-Rettungsschiffen im Einsatz. Er fuhr schon auf der Sea-Watch, der Sea-Eye und der Lifeline.

Die anderen Flüchtlinge verkrochen sich mit Entsetzen in den Augen irgendwo an Deck. „Das Bild vergesse ich nie“, sagt Ulonska über die gespenstische Szene, die sich im vergangenen Jahr im Mittelmeer abspielte. „Die Leute tun alles, um nicht wieder in die libyschen Lager zurück zu müssen.“

Doch genau dahin sollen die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer nach Auffassung der europäischen Regierungschefs und Innenminister – von Angela Merkel über Horst Seehofer bis Matteo Salivini – zurück: in Lager, von denen nicht zuletzt das deutsche Außenministerium sagt, dass dort gefoltert und vergewaltigt werde. Deshalb sitzen in Malta und anderen europäischen Mittelmeerhäfen die Schiffe der privaten Seenotrettungs-Organisationen wie „Sea-eye“, „Mission Lifeline“ oder „Sea-Watch.org“ fest. Deshalb steht der Kapitän der „Lifeline“ in Malta vor Gericht: Er sei der Aufforderung der libyschen Küstenwache nicht nachgekommen, ihr 233 gerettete Flüchtlinge zu übergeben, lautet einer der Vorwürfe gegen ihn.

Mehr als 300 Geflüchtete rettete die „Sea Watch“ mit Friedhold Ulonska als Kapitän im Januar dieses Jahres von diesem Holzboot. Alarmiert wurden die privaten Seenotretter von der libyschen Küstenwache, die die Rettungsaktion von ihrem Schiff aus beobachtete. Danach nahmen die Libyer das leere Holzboot in Schlepp Richtung Heimat. Bild: Ulonska

Mehr als 300 Geflüchtete rettete die „Sea Watch“ mit Friedhold Ulonska als Kapitän im Januar dieses Jahres von diesem Holzboot. Alarmiert wurden die privaten Seenotretter von der libyschen Küstenwache, die die Rettungsaktion von ihrem Schiff aus beobachtete. Danach nahmen die Libyer das leere Holzboot in Schlepp Richtung Heimat. Bild: Ulonska

Deshalb verbringt der Rottenburger Unternehmensberater Friedhold Ulonska seinen Urlaub zuhause. Eigentlich wollte der 61-Jährige seit dem 6. Juli drei Wochen als Kapitän eines dieser privaten Rettungsschiffe Menschen an Bord nehmen, die bei dem Versuch, auf völlig überfüllten Holz- oder Schlauchbooten nach Europa zu flüchten, hilflos im Mittelmeer dümpeln.

Sechs Mal war Ulonska schon auf Rettungsmission. Zwischen 800 und 900 Menschen haben er und seine Crew allein beim letzten Einsatz im Januar dieses Jahres vorm fast sicheren Ertrinken bewahrt. Ohne Probleme ließ die italienische Regierung das Schiff dafür vier Mal Häfen in Sizilien anlaufen.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Die Aufschrift auf dem T-Shirt ist Friedhold Ulonskas Handlungsmaxime. Bild: Metz

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Die Aufschrift auf dem T-Shirt ist Friedhold Ulonskas Handlungsmaxime. Bild: Metz

Viele der Geretteten haben Ulonska von den „hundsmiserablen Zuständen“ in Libyen berichtet. Er spricht von Enge, schlechter Verpflegung, von Zwangsarbeit und Vergewaltigungen. Und Erpressung: „Da wird die Mutter angerufen und der Sohn dabei so gequält, dass noch mehr Geld überwiesen wird.“ Diese Geschichte hat Ulonska nicht nur einmal gehört. „Die Leute sind glaubhaft“, versichert der ehemalige Redakteur und IT-Chef beim TAGBLATT .

Seit in Europa die Rechtspopulisten im Vormarsch sind oder wie zuletzt in Italien an die Regierung kommen, werden Seenotretter wie Ulonska kriminalisiert. Sie führen unter falscher Flagge, betrieben das Geschäft der Schleuser, heißt es. Ende Juni erst warf ihnen Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer in einem Gastbeitrag für den kirchlichen Online-Dienst Kath-Net vor, das Kreuzen der Nichtregierungsorganisationen vor der libyschen Küste sei „bewusst geschaffene Seenot, keine Rettung“. So solle „eine Situation geschaffen werden, die dazu zwingt, die Überfahrt nach Europa zu gestatten“.

Drei Tage waren die geretteten Flüchtlinge im Januar unter sehr beengten Verhältnissen Gäste an Bord der „Sea Watch“. Dann konnten sie auf Sizilien an Land gehen. Bild: Ulonska

Drei Tage waren die geretteten Flüchtlinge im Januar unter sehr beengten Verhältnissen Gäste an Bord der „Sea Watch“. Dann konnten sie auf Sizilien an Land gehen. Bild: Ulonska

Friedhold Ulonska muss sich sehr zusammennehmen, um darauf nicht zynisch zu antworten. Er holt tief Luft und sagt dann: „Es ist ein Unterschied, ob man Menschen aus Seenot rettet oder ob man sie in Seenot bringt.“ Der Andrang der Flüchtenden sei da. Die privaten Organisationen hätten schließlich nur darauf reagiert, „dass die Flüchtlinge im großen Stil ertrunken sind, lange bevor wir da waren“.

Das Engagement bedeute nicht, „dass wir alle Afrikaner nach Europa holen wollen“, sagt Ulonska. Aber er will das große Sterben im Mittelmeer nicht hinnehmen. „Wenn es brennt, muss man erst einmal löschen, bevor man über die Brandursache redet“, findet er. Und es brennt wieder lichterloh, seit die Rettungsschiffe nicht mehr auslaufen: Dieses Jahr seien bis Mai monatlich „zwanzig, dreißig, mal fünfzig Menschen“ auf dem Seeweg von Libyen nach Lampedusa ertrunken. Im Juni waren es laut dem Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen 629 Tote. Für die ersten fünf Juli-Tage berichtet Ulonska von 120 Ertrunkenen. „Die Leute werden in die Fluchtboote gesetzt, egal ob wir da sind“, sagt der gehinderte Kapitän.

Sobald es geht, will er wieder auf eines der Rettungsschiffe. Spendenaktionen wie die der Fernseh-Moderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf, die in wenigen Tagen knapp eine halbe Million Euro erbrachten, könnten das möglich machen. „Wir wollen ein Zeichen setzten“, sagt Friedhold Ulonska. Ein Zeichen, „dass wir uns nicht ausbooten lassen“.

Aktion Seebrücke

„Stoppt das Sterben, nicht die Retter“: Unter diesem Motto rufen verschiedene Tübinger und Reutlinger Organisationen am morgigen Freitag, 13. Juli, in Reutlingen zu einem Aktionstag Seebrücke auf. Treffpunkt zur Demo ist um 16.30 Uhr in der Albstraße 78. Um 17 Uhr startet die Demo in Richtung Bürgerpark bei der Stadthalle, wo um 18 Uhr bei einer Kundgebung neben der Reutlinger Asylpfarrerin Ines Fischer und Teilnehmern verschiedener Seenot-Rettungsaktionen auch Friedhold Ulonska spricht. Schon ab 16 Uhr informiert die Organisation „Sea-Eye“ im Café Nepomuk Unter den Linden 23 über ihre Arbeit.

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Erstellt:
12.07.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 12.07.2018, 01:00 Uhr

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