Filmemacher

„Er hat mir in die Augen geschaut“

Die Poesie, der Papst und die Erleuchtung: Wim Wenders bringt den restaurierten „Himmel über Berlin“ wieder in die Kinos und hat Franziskus getroffen.

07.04.2018

Von DIETER OSSWALD

Filmregisseur Wim Wenders beim Literaturfestival Lit.Cologne. Foto: Oliver Berg/dpa

Filmregisseur Wim Wenders beim Literaturfestival Lit.Cologne. Foto: Oliver Berg/dpa

Berlin. Vor 30 Jahren gewann Wim Wenders mit „Der Himmel über Berlin“ in Cannes die Goldene Palme. Nun präsentiert er eine sorgfältig restaurierte Fassung dieses Kultfilms mit zwei Engeln in der geteilten Stadt, gespielt von Bruno Ganz und Otto Sander. Die Vorstellungen auf der diesjährigen Berlinale waren schnell ausverkauft gewesen – offensichtlich herrscht reichlich Bedarf an diesem Klassiker aus dem Jahre 1987. Im Juni präsentiert Wenders, 72, dann seine Dokumentation „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“.

Mit welchen nostalgischen Gefühlen sieht man einen Film, der drei Jahrzehnte alt ist?

Wim Wenders : Den „Himmel über Berlin“ habe ich immer mal wieder in Retrospektiven gesehen, so ganz unvorbereitet war ich also nicht. Wenn man an das Original-Negativ herangeht, wie es für eine solche Restauration erforderlich ist, ist das aber schon ein Schock. Man begibt sich sozusagen an die Stunde Null des Films. Zugleich war es damals auch eine Art Stunde Null für Berlin. Wir hatten das Glück, den letzen Zipfel einer Stadt zu erwischen, bevor sie dann verschwunden ist. Ich war damals 42, inzwischen bin ich über 70 – das ist eine echte Zeitreise, sich nochmals in alles hineinzuversetzen.

Wie sieht man heute die Fehler, die man damals beim Drehen gemacht hat? Oder blendet man das aus?

Man sieht natürlich Dinge, bei denen man denkt: Das hättest du besser hinbekommen können! Gleichzeitig erinnere ich mich an die Gründe, warum alles so gekommen ist, wie es dann war. Weil wir etwa eine Szene mit Peter Falk erst in letzter Sekunde drehen konnten, da er am nächsten Tag schon wieder weg musste. Da war vieles improvisiert und hätte bei besserer Planung anders aussehen können. Anderseits macht es gerade den Flair dieses Filmes aus, dass er so ohne Drehbuch entstanden ist. Oft haben wir erst am Abend überlegt, was wir am nächsten Tag drehen könnten. Der „Himmel“ ist wie ein Gedicht entstanden, dem jeden Tag eine neue Zeile hinzugefügt wurde.

Manche Kritiker fanden die Poesie damals nach der Premiere „verquast“. Hat Sie das gekränkt?

Der Film stieß damals auf einigen Widerstand. In vieler Hinsicht mag das an der Sprache von Peter Handke gelegen haben. Oder auch an dem „spirituellen“ Hintergrund mit den Engeln. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die den „Himmel über Berlin“ damals überhaupt nicht mochten und ihn aber heute zu ihren Lieblingsfilmen zählen. Es ist ein Film, der irgendwie vor seiner Zeit war. Manchmal macht man Filme, die kommen zu spät. Und andere sind zu früh.

Es ist auffallend, wie häufig schon damals Migranten im Hintergrund zu sehen sind . . .

Man sieht in dieser restaurierten Fassung überhaupt viel mehr. Es ist schon frappierend, wie viele Details in den Kopien der sechsten Generation verlorengegangen sind. Ich selbst habe jetzt auch im Hintergrund etliche Dinge entdeckt, von denen ich sehr überrascht war.

Auf der Berlinale waren die Vorstellungen schnell ausverkauft. Wie erlebt die heutige Generation von Kinobesuchern diesen Film?

Ich war auf die Reaktionen eines heutigen Publikums sehr gespannt. Da waren viele vornehmlich junge Leuten im Saal, die den Film nie gesehen hatten. „Der Himmel über Berlin“ ist sehr komplex und offen und entsteht letzten Endes erst im Auge jedes Betrachters. Ich habe mit keinem Film so vielschichtige Reaktionen erlebt, wie mit diesem. In Japan zum Beispiel lief der „Himmel“ ein Jahr lang in einem großen Kino, das sogar mittags ausverkauft war – und da saßen ausschließlich Frauen im Publikum! Man erklärte mir das Phänomen damit, dass unsere Engel den Menschen zuhören und japanische Frauen das von Männern nicht gewohnt wären. Für die war „Der Himmel über Berlin“ wie eine Erleuchtung.

Ihr nächster Film handelt vom Papst. Wie verlief die Begegnung?

In den letzten zwei Jahren habe ich den Papst jeden Tag am Schneidetisch gesehen und gehört. Wir haben viele Hunderte von Stunden Material gesichtet, von dem Kamerateam, das ihn rund um die Welt begleitete. Für unsere eigenen Interviews haben wir den Papst dann vier Mal für jeweils ein paar Stunden alleine treffen können. Für diese Gespräche haben wir eine Technik verwendet, bei der der Gefragte scheinbar in die Kamera sieht, tatsächlich aber in das Gesicht des Fragestellers. Papst Franziskus hat mir also in die Augen geschaut und ist somit Auge in Auge mit jedem Zuschauer.

Wie lautet Ihr Urteil über Franziskus?

Ich habe die allergrößte Achtung vor diesem Mann. Ich glaube, er ist einer der mutigsten Menschen auf diesem Planeten. Franziskus ist unglaublich offen gegenüber allen Menschen, jeder Konfession oder Religion. Insofern ist er heutzutage eine geradezu utopische Figur, der lebt, was er predigt. Deswegen lautet der Filmtitel auch: „Ein Mann seines Wortes“. Papst Franziskus tritt für die 80 Prozent der Menschen ein, die immer weiter von den privilegierten 20 Prozent abdriften.