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Endet die Castingshow-Ära?

Demütigung und Provokation als Erfolg: 20 Jahre hat dies das Privatfernsehen geprägt. Langzeit-Oberjuror Dieter Bohlen ist bei „DSDS“ raus. Stirbt das Genre aus?

15.05.2021

Von DPA

Kandidaten stellen sich Juroren  das Casting-Prinzip scheint im Fernsehen nicht mehr so recht zu funktionieren. Foto: Henning Kaiser/dpa

Kandidaten stellen sich Juroren das Casting-Prinzip scheint im Fernsehen nicht mehr so recht zu funktionieren. Foto: Henning Kaiser/dpa

Berlin/Darmstadt. Tausende junge Frauen wollen Deutschlands nächstes „Topmodel“ werden, Hobby-Sänger lassen sich für ein bisschen Ruhm demütigen: 20 Jahre Castingshows haben die deutsche Gesellschaft verändert. Doch auch die Vorzeigeformate wie Heidi Klums „Germany?s Next Topmodel“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „The Voice of Germany“ kämpfen mit sinkendem Interesse, zumindest bei den absoluten Zuschauerzahlen im linearen Fernsehen. Das Finale von „The Voice Kids“ hatte vor kurzem so wenige Zuschauer wie noch nie. Ist die klassische Castingshow out?

Ausreichende Marktanteile im breiter gewordenen Bewegtbildmarkt lassen die Sender an den Formaten zwar festhalten. Pro?7 etwa feiert die aktuellen „Topmodel“-Folgen als „die erfolgreichste Staffel seit Jahren“, doch der Zuschauerschwund im klassischen Fernsehen ist im Vergleich zu den besten Zeiten deutlich. Und bei DSDS ist sogar der prägende Oberjuror Dieter Bohlen raus.

„Ich denke nicht, dass das Casting-Zeitalter komplett vorbei ist“, sagt Katrin Döveling, Professorin für Kommunikationswissenschaften und Medienkommunikation in Darmstadt. „Die Casting-Landschaft hat sich jedoch verändert und andere Formen des Tele-Darwinismus flimmern nun in die deutschen Wohnzimmer.“

Formate wie „Kitchen Impossible“ und „Die Höhle der Löwen“ zeigten, dass es nicht mehr nur allein um Show und Bühnenpräsenz gehe, sondern auch ums Können, sagt Döveling. „The show must go on. Aber anders.“ Gerade in Zeiten von Corona habe sich zudem das Freizeitvergnügen noch einmal stark verändert. „Vor allem junge Menschen sind nun noch mehr online, posten in sozialen Medien. Da hat man wenigstens noch das Gefühl, wenn man schon sonst isoliert ist, teilhaben zu können.“

Schon vor zehn Jahren gab es Abgesänge auf die vielen Casting-Formate. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen rief damals die „Casting-Gesellschaft“ aus, überall sei die Sucht nach Aufmerksamkeit allgegenwärtig. Millionen Menschen wollten endlich „stattfinden“ und Promi werden, dafür sei ihnen auch der Preis nicht zu hoch, vor einem Millionenpublikum verhöhnt zu werden.

Viele Siegerinnen und Sieger all dieser Shows aus den letzten 20 Jahren sind längst vergessen. Dennoch: In der Geschichte des Fernsehens knüpften die modernen Castingshows der vergangenen zwei Jahrzehnte an eine Tradition von Talentwettbewerben in Deutschland an. Schon in den späten 50er und frühen 60er Jahren zeigten sowohl ARD und ZDF als auch das Fernsehen der DDR Shows, in denen Kandidaten ihr Talent unter Beweis stellten. Von 1972 bis 2017 gab es außerdem die vom Moderator Udo Werner ins Leben gerufene legendäre Kölner Talentprobe am Tanzbrunnen – eine als gnadenlos verschriene Open-Air-Veranstaltung am Rhein.

Die Kritik an den TV-Castings in den letzten Jahren zielte keineswegs auf die gewissenhafte Talentsuche, sondern auf die Ausnutzung der Formate als sogenanntes performatives Realitätsfernsehen. Damit ist Reality-TV gemeint, das ins echte Leben der Teilnehmer eingreift. Castingshows wurden sehr oft zu einem Mix aus Soap, Comedy und konstruierten Dramen zurechtgeschnitten. Konflikte mit Jurymitgliedern oder Mit-Kandidaten wurden wichtiger als die Musik, das Modeln oder Sonstiges. Das Publikum wurde zum Voyeur und Zeuge moralischer Grenzverletzungen. Das passiert nach wie vor, jedoch mit weniger Zuspruch. Millionen scheinen es leid zu sein.

Parallel dazu scheint sich eine neue Lust auf Seriosität entwickelt zu haben. Gerade in Zeiten der Pandemie punkten moralischere Formate wie natürlich Nachrichten, Talkshows und Dokus, aber auch Satire wie die „heute-Show“ und das neuerdings monothematisch und sehr politische „ZDF Magazin Royale“ mit Jan Böhmermann. dpa

Hat DSDS verlassen: der einstige Chef-Juror Dieter Bohlen. Foto: Henning Kaiser/dpa

Hat DSDS verlassen: der einstige Chef-Juror Dieter Bohlen. Foto: Henning Kaiser/dpa

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Erstellt:
15.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 15.05.2021, 06:00 Uhr

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