Im besten Falle Kabarett: Formlose Verfilmung von Michel Houellebecqs "Skandal"-Roman

Elementarteilchen

Im besten Falle Kabarett: Formlose Verfilmung von Michel Houellebecqs "Skandal"-Roman

24.11.2015

Von Peter Claus, dpa

Elementarteilchen

Das 1998 erschienene Gesellschaftspanorama "Elementarteilchen" des französischen Autors Michel Houellebecq ist der europäische Skandalroman der 1990er Jahre schlechthin. Er galt als unverfilmbar - eine Einschätzung, die der Film von Oskar Roehler bestätigt.

Vor allem die oft drastische Schilderung sexueller Aktivitäten war es, die das Buch "Elementarteilchen" in die Bestsellerlisten katapultierte. Daher wurde von der Kinoversion ein mindestens deftiges Leinwanderlebnis erwartet, zumal Regisseur Oskar Roehler ("Silvester Countdown", "Die Unberührbare") für einen Hang zum Drastischen bekannt ist. Doch der Film verblüfft mit einer nahezu neckisch anmutenden Harmlosigkeit.

Beachtlich ist der Aufmarsch an deutschsprachiger Schauspielprominenz: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Martina Gedeck, Franka Potente, Nina Hoss, Uwe Ochsenknecht, Corinna Harfouch, Tom Schilling, Herbert Knaup, Michael Gwisdek, Jasmin Tabatabai, Ulrike Kriener, Thorsten Merten, Hermann Beyer, Ingeborg Westphal - selbst kleinste Rollen sind hochkarätig besetzt. Das ist amüsant. Überwiegend amüsant - und nicht zynisch wie bei Michel Houellebecq - kommt die Filmversion Roehlers daher, der auch für das Drehbuch zuständig war. Im Mittelpunkt steht, wie im Buch, ein ungleiches Halbbruderpaar. Michael (Christian Ulmen) lebt abseits jeglicher Sexualität nur für seine Gen- und Klonforschung. Lehrer Bruno (Moritz Bleibtreu) hingegen ist ein Ausbund an Triebhaftigkeit. Rückblenden beleuchten die Kindheit der Halbbrüder, die überschattet ist von der Abwesenheit einer exaltierten Hippiemutter (Nina Hoss). Die Handlung erschöpft sich in den unterschiedlichen Bemühungen der Brüder um erfüllte Partnerschaften.

Nahezu völlig ausgespart werden die sozial- und wissenschaftskritischen philosophischen Exkurse der Buchvorlage. Auch das Ende ist entscheidend verändert: Im Roman verübt Michaels Gefährtin (Franka Potente) unter der Last von Krankheit und unerfülltem Kinderwunsch Selbstmord. Im Film darf sie munter weiterleben. Diese Veränderung ist so kühn, als würde man in einer "Carmen"-Adaption der Titelheldin ein Happy End gönnen oder Romeo und Julia quicklebendig vor den Traualtar führen.

Das Weglassen jeglicher Philosophie sowie die starke Änderung des Schlusses führen zu einem völligen Verlust der Grundaussage des Buches: einer unmissverständlichen Absage an die Spaßgesellschaft. Oskar Roehlers Film blickt über den kleinen Rand einer Beziehungskisten-Kolportage nicht hinaus.

Das hat einen Teil der Rezensenten zu vernichtenden Verrissen veranlasst. Die freundlicheren lobten die Schauspieler, allen voran Martina Gedeck. Sie verkörpert Brunos zeitweilige Gefährtin, eine sinnliche Frau, die ihn in ihrer Gier auf Sex sogar noch überbietet. Wie die Schauspielerin bei aller Zurschaustellung ihrer körperlichen Reize den Blick auf die seelischen Abgründe der Figur lenkt, ist in der Tat bemerkenswert. Beunruhigend wie im Roman ist dies jedoch nicht. Auch Moritz Bleibtreus Verkörperung des unentwegt vom Sex getriebenen Bruno fand viel Beifall. Er erhielt dafür den Silbernen Bären als bester Schauspieler der Berlinale.

Den Kritikern auf der Berlinale entgegnete Produzent Bernd Eichinger ("Der Name der Rose"), das Filmteam "wollte einem Kinopublikum die fatalistische Grundhaltung des Buches nicht zumuten". Doch weshalb wurde dann überhaupt ein Buch, das ein einziges fatalistisches Pamphlet ist, als Vorlage gewählt? Wurde hier die Erwartung an spektakuläre Sexszenen geschürt, um das Geschäft anzukurbeln? Oskar Roehles Antwort lautet: "Hätten wir den Roman in diesem Punkt detailgetreu umgesetzt, hätte die Uraufführung des Films in einem Pornokino stattfinden müssen."

So bleibt die Frage, ob nicht all jene Recht haben, die den Roman für unverfilmbar hielten.