Ort des Tages

Einsamer Stuhl – wo kommst du her, wo gehst du hin?

Es ist ein erhabener Sitz und ein Ort, der einen lehrt, wie vergänglich wir Menschen sind. Ein orangefarbener Stuhl zeigt uns, dass es noch Beständigkeit gibt auf der Welt.

08.08.2019

Von ust

Bild: Ulrich Metz

Bild: Ulrich Metz

Und er zeugt es schon eine ganze Weile. Unsere fotografischen Quellen bezeugen, dass er schon mindestens seit dem Januar 2014 auf dieser Dachterrasse thront. Wir halten es also für möglich, dass er hier oben noch sehr lange ausharren wird. Ein Kollege hatte diesen orangefarbenen Punkt vor Jahren entdeckt. Der leuchtende Tupfer in der Skyline der Tübinger Olgastraße wuchs ihm über die Jahre ans Herz. Tag für Tag betrachtete er ihn voller Wohlgefallen.

Es erwachte in ihm der Wunsch, einmal, wenigstens einmal darauf Platz zu nehmen. Aber nicht jeden Wunsch erfüllt die gute Fee. Zumindest das Verlangen nach einem ebensolchen Stuhl könnte gestillt werden. Das Modell heißt „PS Vågö“ und ist für 29,99 Euro bei einem großen schwedischen Möbelhaus zu haben. Teils werden für das Modell aber auch Liebhaberpreise um die dreifache Summe geboten.

Der Ort, an dem Vågö steht, wirkt nicht wie ein Platz zum Chillen für Menschen. Noch nie wurde ein menschliches Wesen auf ihm gesehen. Wie und warum ist der Stuhl da hingekommen? Es scheint keinen Aufgang zu geben. Vielleicht wurde er mit einem großen Baukran hinaufverfrachtet. Gibt es je ein Entkommen für das arme orangefarbene Ding? Sitzt es hier womöglich lebenslänglich ein? Wir sind zu der Überzeugung gekommen, in der Olgastraße befindet sich das erste und einzige Stuhlgefängnis der Stadt. Etwas freundlicher könnte man es auch einen Laufstall für Stühle nennen, aber das passt irgendwie nicht zum fortgeschrittenen Alter des Möbels.