Nachruf

Ein großer Denker

Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel hat Generationen von Pfarrern geprägt. Nun ist er gestorben.

30.09.2021

Von EPD/EB

Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel. Foto: Annette Zoepf

Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel. Foto: Annette Zoepf

Tübingen. Verdrängt hat Eberhard Jüngel den Tod nicht. Er erwartete danach die Liebe Gottes in gesteigerter Form erleben zu dürfen – „von Angesicht zu Angesicht“, sagte der evangelische Theologe einmal dem Evangelischen Pressedienst. Am Dienstag ist der Tübinger Gelehrte, der als einer der bedeutendsten evangelischen Theologen der Gegenwart gilt, im Alter von 86 Jahren gestorben.

Auf dem Beistelltisch in Eberhard Jüngels Tübinger Wohnzimmer stand eine Karteikarte, auf der ein Spruch des Künstlers Joseph Beuys zu lesen war: „Wer nicht denken will, fliegt raus.“ Denken wollte Jüngel immer. Doch er ist auch rausgeflogen: Am Tag vor seinem Abitur von einem Gymnasium in seiner Geburtsstadt Magdeburg. Eine Freundin und er hatten im Unterricht gegen die Beschlagnahmungen diakonischen Eigentums durch das SED-Regime protestiert – und mussten als „Feinde der Republik“ die Schule verlassen. Jüngel konnte ein kirchliches Abitur ablegen und wenig später doch noch ein staatliches. Schmunzelnd erzählte er, dass er zwei Abiture in der Tasche habe.

Nach seinem Theologiestudium in Naumburg, Ost-Berlin, Zürich und Basel und der Promotion zu „Paulus und Jesus“ begann seine lebenslange Dozententätigkeit. In Tübingen war er auch 18 Jahre lang Ephorus des Evangelischen Stifts, einer jahrhundertealten „Kaderschmiede“ der württembergischen Landeskirche. Als Jüngels wichtigstes Buch gilt „Gott als Geheimnis der Welt“ aus dem Jahr 1977.

Landesbischof Frank Otfried July betonte in seiner Würdigung: „Kaum ein Theologe des 20. Jahrhunderts hat Theologinnen und Theologen in ihrem Denken und Glauben so stark herausgefordert und zugleich so nachhaltig geprägt und beglückt wie Eberhard Jüngel.“ Das gelte besonders für die Pfarrerinnen und Pfarrer in Württemberg. Und Gabriele Wulz, die Jüngel als Studieninspektorin eng verbunden war, ergänzt: „In seiner Wortverkündigung hat er weit über die akademische Welt hinaus Menschen berührt und einen neuen Zugang zum Glauben eröffnet.“

Eine Viruskrankheit, die seinen Kopf erfasst hatte und ihm das Lesen am Ende unmöglich machte, zwang Jüngel in den letzten Jahren in die Zurückgezogenheit. In Glaubenszweifel stürzte ihn die Erfahrung des Leids nicht. Das Leiden ist nun zu Ende. epd/eb