Tübingen

Einfältige Sicht

Im Religiösen erkannte der Philosoph und Marxist Ernst Bloch utopisches Potenzial. Eine Tagung ging seinem Verständnis von Religion nach („Sich tätig ins Werdende werfen“, 13. November).

16.11.2017

Von Dieter Rössner, Tübingen

Die Tagung zum 40. Todestag von Ernst Bloch befasste sich mit dem „utopischen Potential“ des Religiösen und gipfelte in der grotesken „Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft“, selbst wenn sie im Widerspruch dazu liege: „Das Beste an Religion ist, dass sie Ketzer hervorbringt“.

Der Grauen erregende Spruch ist phantastisch für das Selbstverständnis der Religiösen, zugleich aber eine unglaubliche Herabwürdigung des nichtreligiösen freien Menschen. So werden auf einen Schlag alle von der Religion vereinnahmt: Ohne Religion gäbe es in dieser widersinnigen Logik kein kosmologisches Weltbild, keinen Humanismus, keine Aufklärung, keine Evolutionstheorie – alles Werke der so genannten Ketzer! Welch einfältig zentrierte Sicht auf die Bedeutung des Religiösen.

Was hätten „Ketzer“ wie Jan Hus, Galileo Galilei, Thomas Müntzer und vor allem Giordano Bruno sowie die unzähligen, auch namenlosen Humanisten, die in der Weltgeschichte wegen ihres Atheismus und Engagements vom religiösen Wahn stark eingeschränkt oder sogar getötet wurden, als freie Menschen ohne das diffamierende Etikett „Ketzer“ leisten können?

Das „Hervorbringen“ von Ketzern ist so gesehen nichts anderes als ein politisch religiöses Mittel, um vernunftbestimmte Menschen, die vom Religiösen abweichen, aufzuspüren, auszugrenzen und zumindest mund(tot) zu machen. Fazit: Das Beste an der Religion wäre, wenn sie ihre religiösen Kampfbegriffe aufgeben und eigenständige Leistungen der Humanisten anerkennen würde.