Schlat

Eine Frage des Obstes

Aus alten Obstsorten kreiert Jörg Geiger aus Schlat Getränke mit und ohne Alkohol – rund 70 heimische Kräuter, 200 Gewürze und 20 Blüten unterstützen die Sorten- und Geschmacksvielfalt. Deutschlandweit marktführend und auch in der Sternegastronomie geschätzt sind die alkoholfreien Speisebegleiter und Priseccos. Eine Erfolgsstory, die mit einer fast vergessenen Birnensorte ihren Anfang nahm.

13.10.2022

Von Evi Miller

Symbolbild: Unternehmen

Symbolbild: Unternehmen

„Eine Welt ohne Alkohol ist genauso vielseitig wie eine Welt mit Alkohol“, davon ist Jörg Geiger überzeugt. Eintauchen kann man in beide Welten in Schlat bei Göppingen: Über 100 Streuobstprodukte der Manufaktur Jörg Geiger, abgefüllt in Flaschen, können hier, in einem ehemaligen Stall, angeschaut, gekauft und mitunter an der Bar auch probiert werden. „Es kommen Gäste aus ganz Deutschland zu uns“, sagt Mitarbeiterin Anna-Lisa Papapostolou. Es läuft so gut, dass der Gastronomiebetrieb im Haus vor sechs Jahren eingestellt wurde. Der gelernte Koch Jörg Geiger widmet sich seither im Hauptberuf seinen Wiesenobst-Rezepten. Vielleicht keine einfache, aber eine ganz bewusste Entscheidung, die Jörg Geiger da traf – immerhin existierte das Gasthaus seit mehr als 350 Jahren, es lag an einer wichtigen Handelsroute zwischen Stuttgart und München und war seit jeher für sein gutes Essen bekannt. Das änderte sich auch nicht, als Jörg Geiger den Gasthof übernahm. Vor allem für den Rehbraten kamen die Leute von weither. Ein bisschen schade fand er es schon, dass er seinen Gästen, die keinen Wein tranken, immer nur Orangensaft oder gar Fanta anbieten konnte. So experimentierte er in den 90er-Jahren erstmals mit der Champagner-Bratbirne, einer ganz alten in Württemberg beheimateten Sorte, und stellte den ersten Birnenschaumwein – einen Secco – her, den er im eigenen Restaurant ausschenkte. „Die Gäste waren begeistert“, erinnert sich Jörg Geiger. Mit dem Lob seiner Gäste musste sich der Koch vorerst auch zufrieden geben. „Von 1997 bis 2007 hat die Champagner Bratbirne rote Zahlen geschrieben“, so Geiger. Ein Grund zum Aufgeben war das nicht für ihn, noch weniger die Klage des Champagner-Verbandes gegen seine Verwendung des Begriffs Champagner. Geiger bot dem Champagner-Komitee erfolgreich die Stirn, da er nachweisen konnte, dass bereits 1760 die Herstellung von Schaumwein aus der holzigen und bitteren Frucht urkundlich erwähnt wurde. Der Rechtsstreit machte das Getränk jedenfalls noch bekannter.

Kreative Experimente

2003 gründete Jörg Geiger seine Manufaktur. Inzwischen hat er um die 50 Mitarbeiter, eine neue, moderne Produktionshalle am Ortsrand, und vor allem eine enorme Vielfalt an Wiesenobst-Produkten. Aus alten Sorten von Äpfeln, Birnen, Kirschen, verschiedenen Beeren macht er Obstweine, Obstschaumweine, Obstbrände, Liköre, alkoholfreie Priseccos und verfeinert sie unter Einsatz von zahlreichen Gewürzen, Kräutern und Blüten. Über 100 Getränke sind es insgesamt, 40 davon alkoholfrei. Die Experimentierlust von Jörg Geiger ist groß. Manche Rezepte seien vielleicht auch ein bisschen waghalsig, räumt er ein. „Welcher Verrückte hat sich das denn ausgedacht“, habe er sich erst gestern wieder in der Produktion gefragt, erzählt Jörg Geiger lachend. Woher nimmt er die Inspirationen? „Ich bin gerne in der Natur“, sagt er und manchmal können schon Kräuter, die er am Wegesrand findet, etwas in Gang bringen. „Ich bin da stark in den eigenen Gedanken“, so Geiger. Wichtig ist auch die Nase. „Wenn die Nase nicht funktioniert, probier ich es gar nicht.“

Es entstand auch schon ein Rezept aus der Not heraus: Der Cuvée Nr. 11 mit unreifem Apfel und Eichenlaub. Ein Hagelschlag hätte die Ernte fast vernichtet. Geiger ließ seine Mitarbeiter die unreifen Früchte pflücken, die sonst am Baum verfault wären. „Wir finden eine Lösung“, versprach er. Er fand sie in einem alten Buch mit altdeutscher Schrift, das gedämpftes Eichenlaub empfahl, um die Säure von unreifem Obst abzurunden. Es funktionierte und die Manufaktur war um einen neuen, etwas weniger süßen Prisecco reicher. Interessant auch die Inspiration Nr. 4.1. mit Apfel und Vogelmiere, einer Pflanzenart der Familie der Nelkengewächse, das gerne als Unkraut bezeichnetet wird, tatsächlich aber von nicht zu unterschätzendem ökologischen Wert ist. Die Zugabe von gemahlenen und gerösteten Austernschalen verleiht dem alkoholfreien Getränk Mineralität und macht es zum frischen Begleiter von Seafood.

Gesunde Böden

Jörg Geigers Leidenschaft für alte Obstsorten beschränkt sich keineswegs auf das Endprodukt. Im Gegenteil. Sein Herzensprojekt ist die nachhaltige und naturerhaltende Arbeit. Dabei liegt sein Fokus auf gesunden Böden – eine wichtige Voraussetzung, um die uralten Bäume und Obstsorten zu bewahren. Manche der Bäume sind über 100 Jahre alt, die extensiv bewirtschafteten Obstwiesen sind vorzügliche Biotope und Naherholungsgebiete.

„Wir verzichten jetzt schon im zweiten Jahr auf biologischen Pflanzenschutz, machen also nur noch etwas für die Pflanzenstärkung“, so Geiger. Es funktioniert, denn eine Voraussetzung für widerstandsfähige Pflanzen, die keinen nennenswerten Schädlingsbefall zeigen, liege nicht in der Pflanze selbst, sondern im Boden und im Zusammenspiel mit einem gesunden Bodenmikrobiom. Mit ihren starken Wurzeln sind die alten Baumriesen weniger anfällig für heiße und trockene Tage und entwickeln Resilienzen. Dafür benötigen die Bäume Zeit zu wachsen, der Ertrag beginnt spät, dann aber umso ergiebiger und schmackhafter. Die alten Obstsorten haben viel Tannine, sind reicher an Nährstoffen und Aromen. „Sie sind nicht für den schnellen Ertrag gemacht“, so Geiger. Um die Menschen mitzunehmen, sie wieder stolz zu machen auf ihre alten und regionalen Apfel- und Birnensorten, hat er 2016 den Verein „Wiesenobst e.V.“ gegründet. Das Ziel: im Umkreis von 60 Kilometern das größte Biosphärengebiet zu schaffen. 350 Lieferanten und 25000 Bäume hat der Verein bereits. Die Obstlieferanten garantieren die Einhaltung der Wiesenobst-Kriterien, die Verarbeiter zahlen ihnen dafür einen deutlich höheren Auszahlungspreis für ihr Wiesenobst. Heraus kommt eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, bis hin zum Konsumenten. Da ist sich auch Mitarbeiterin Anna-Lisa Papapostolou sicher: „Man schmeckt es in unseren Getränken, dass mehr dahintersteckt.“ Eben auch eine Vision von jahrhundertalten Traditionen und tiefverwurzeltem schwäbischen Wiesenobst.