Fußball

Eine Frage der Perspektive

Es ist ein Fehlstart, aber noch keine Katastrophe. Beim VfB Stuttgart hoffen sich auf die Rückkehr der Verletzten, haben aber auch Defizite erkannt.

21.09.2021

Von MARKO SCHUMACHER

Mangelt es an Zusammenhalt? Wataru Endo hilft Marc Oliver Kempf auf die Beine. Foto: Markus Fischer via www.imago-images.de

Mangelt es an Zusammenhalt? Wataru Endo hilft Marc Oliver Kempf auf die Beine. Foto: Markus Fischer via www.imago-images.de

Der Sportdirektor des VfB Stuttgart erinnerte am Montagvormittag an den Tag im Dezember, als die junge Mannschaft des VfB Stuttgart beim Borussia Dortmund mit einem spektakulären 5:1 triumphiert hatte. Auf eine „sehr gute und erfrischende Vorrunde“ folgte eine Rückrunde, „in der wir unsere Punkte hart erkämpfen mussten“. Worauf Sven Mislintat mit seinem Exkurs in die Vergangenheit hinaus will, ist zweierlei: Erstens dürfe man nicht den Fehler machen, das erste Jahr nach dem Wiederaufstieg „völlig zu verklären“. Weshalb es zweitens, da das Spektakel Pause hat, keinen Grund gibt, nervös zu werden: „Uns war von Beginn an klar, dass wir uns in die neue Saison reinkämpfen müssen“, sagt Mislintat, „das gehört zum normalen Entwicklungsprozess.“

Tatsächlich besteht zur Panik kein Anlass, auch wenn vier Punkte aus fünf Spielen alles andere als einen Traumstart bedeuten. Ernüchterung allerdings hat sich breitgemacht – spätestens nach der 1:3-Niederlage am Sonntag gegen Bayer Leverkusen, bei der die Stuttgarter in der ersten halben Stunde regelrecht überrollt wurden und danach auch in Überzahl dem Spiel keine Wende geben konnten. Die Frage ist daher: Muss man sich größere Sorgen um den VfB machen? Die Antwort lautet: nein und ja.

Da ist zum einen der Spielplan, der die sportliche Leitung weiterhin einigermaßen ruhig schlafen lässt. Neben Eintracht Frankfurt gehörten mit Leipzig und Leverkusen zwei Mannschaften zu den ersten fünf Gegnern, die in der Champions League starten. Niederlagen gegen derart hochkarätig besetzte Teams sind für den VfB noch immer eher Normalität denn Enttäuschung. So gesehen fehle nur ein Punkt gegen den SC?Freiburg, wie Mislintat meint, „ansonsten sind wir einigermaßen im Soll.“

Zum anderen ist es die Verletzungsmisere, die als Begründung für den holprigen Saisonauftakt dient. Sasa Kalajdzic, Silas Katumpa Mvimpa und Orel Mangala waren in der vergangenen Saison mit die wichtigsten Spieler – alle drei sind oder waren verletzt. Hinzu kommt Neuzugang Chris Führich, der wochenlang ausfällt. Der VfB-Kader mag groß sein – ein derartiger Aderlass geht aber an keiner Mannschaft spurlos vorbei.

Mangala stand gegen Leverkusen erstmals wieder in der Startelf, die anderen Verletzten, darunter die Nachwuchshoffnungen Lilian Egloff und Naouirou Ahamada sollen folgen. „Wenn wir wieder mit der vollen Kapelle trainieren und die maximale Breite des Kaders ausschöpfen können, werden wir auch wieder bessere Spiele zeigen“, sagt Mislintat. Führich soll im Idealfall schon am Samstag (15.30 Uhr) beim Aufsteiger VfL Bochum wieder auf dem Platz stehen.

Doch Mislintat weiß auch, dass sich die Probleme nicht mit einem Schlag lösen, sobald Bänder, Fasern und Knochen zusammengewachsen sind. Wieder spielfähig zu sein, ist das eine, die alte Form zu erreichen ein ganz anderes Thema. Die Faustregel, nach der dies so lange dauere wie die vorangegangene Pause, „gilt zwar nicht mehr so ganz“, sagt Mislintat, „doch kann man natürlich auch nicht nach ein, zwei Spielen von einem Rhythmus sprechen.“

Die vielen Gegentore, die Unaufmerksamkeit in der Anfangsphase, die fehlende Kreativität – all das lässt sich nicht allein durch das Fehlen wichtiger Spieler erklären. Denn zur Wahrheit gehört auch: In der Vorsaison hat der VfB in der Rückrunde, in der es ebenfalls Personalsorgen gegeben hat, zwar nicht mehr so begeistert, aber einen Punkt mehr geholt als in der Vorrunde.

Es fehle nicht nur an „Präzision und Zielstrebigkeit“ im Offensivspiel, sagt Trainer Pellegrino Matarazzo. Er sieht auch Defizite „im Mannschaftsgefüge“. Zu wenig Widerstandsfähigkeit, zu wenig Zusammenrücken, wenn ein Spiel anders läuft als geplant, zu wenig Flexibiltät und gegenseitige Unterstützung. Es ist ein Befund, der dann doch zu Sorgen Anlass gibt. Denn nicht zuletzt dem bedingungslosen Zusammenhalt war es in der Vorsaison zu verdanken, dass der VfB auch Spiele gewann, in denen er nicht die bessere Mannschaft war.