Abzug aus Afghanistan

Interview: „Eine Art Schubumkehr“

Das Aus in Afghanistan bedeutet eine Umkehr der Konditionalität, meint Politikwissenschaftler Markus Kaim. Der multilaterale Handlungsrahmen wird dadurch geschwächt. Und die Ziele ändern sich.

15.04.2021

Von ELLEN HASENKAMP

Markus Kaim, Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Foto: Pressefoto

Markus Kaim, Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Foto: Pressefoto

Berlin. Der Abzug aus Afghanistan markiert einen Wendepunkt internationaler Sicherheitspolitik, sagt der Wissenschaftler Markus Kaim.

Warum ist die Abzugsentscheidung ein solcher Einschnitt?

Markus Kaim: Sie bedeutet eine Art Schubumkehr, das Ende der Konditionalität nämlich. Bisher galt: Wir ziehen ab, wenn es die Rahmenbedingungen in Afghanistan erlauben. Jetzt haben sich die durchgesetzt, die sagen, dann werden wir nie gehen können. Der Abzug erfolgt, ohne dass die früheren Bedingungen erfüllt sind.

Was sollte Deutschland daraus ableiten?

Was ich mir wünsche – und was in den USA schon lange passiert –, ist zunächst mal eine nüchterne Bilanz. Wir sind ja mit großen Hoffnungen und Erwartungen gestartet in Afghanistan. In der US-Presse ist allerdings schon unverhohlen von einem Scheitern die Rede.

Welche Folgen hat das für die internationale Sicherheitspolitik?

Der Abzug wird der ohnehin zu Ende gehenden Periode der Auslandseinsätze den Todesstoß geben. Natürlich wird es weiterhin Überwachungsmissionen wie derzeit im Mittelmeer geben, aber großformatige Stabilisierungseinsätze mit Beteiligung von Heereskräften, das wird vorerst niemand mehr anfassen wollen.

Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Effektiver Multilateralismus heißt ja auch: eine handlungsfähige Uno im Bereich Konfliktmanagement und die Bereitschaft zu Missionen wie in Afghanistan oder auch in Mali. Insofern reden wir von einer Schwächung des multilateralen Handlungsrahmens.

Und in den Vordergrund tritt das einzelstaatliche Interesse?

Die gesamte Sicherheitspolitik wird sozusagen egoistischer werden. Es ging ja in Afghanistan zuletzt vornehmlich um Ziele wie Demokratie, Frauenrechte, Mädchenschutz. Jetzt schwingt das Pendel zurück. Auch in Mali beispielsweise lautet das Ziel nicht mehr regionale Sicherheit, sondern Kampf gegen Terrorismus und gegen Fluchtursachen.

Was heißt das für die Region – vor den Toren Chinas?

Es wäre ein Fehler, die Region gänzlich sich selbst zu überlassen. Das hat aber rein gar nichts mit dem militärischen Afghanistan-Einsatz zu tun. Wir müssen dazu eine Vorstellung entwickeln. Das kann Deutschland aber natürlich nicht alleine, da müsste Europa eine Antwort geben.

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Erstellt:
15.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 59sec
zuletzt aktualisiert: 15.04.2021, 06:00 Uhr

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