Corona-Vakzin

Ein Desaster für Curevac

Bislang ist das Serum der Tübinger Firma nur zu 47 Prozent wirksam. Was ist schiefgelaufen und hat das Unternehmen jetzt noch eine Chance?

18.06.2021

Von Thomas Veitinger & Dieter Keller

Der Test-Impfstoff von Curevac ist umstritten. Foto: dpa

Der Test-Impfstoff von Curevac ist umstritten. Foto: dpa

Wir spielen am besten, wenn der Gegner nicht da ist“, soll Trainer Otto Rehhagel einmal gesagt haben. Bei Curevac mag es auch so sein, aber hier gibt es Gegner, viele Gegner: die Virus-Varianten.

Sie setzen der Wirksamkeit des noch nicht zugelassenen Impfstoffs des Unternehmens extrem zu. In einer Studie führten 13 Varianten bei Studienteilnehmern nur zu einer Wirksamkeit von 47 Prozent gegen die Covid-Erkrankung. Dies ist ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte des jungen biopharmazeutischen Unternehmens und bedeutet möglicherweise das Aus für deutsche Impfaktionen.

Wegen Verzögerungen hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jüngst mitgeteilt, in der laufenden Impfkampagne bis auf Weiteres nicht mehr mit einem Mittel aus Tübingen zu rechnen. Curevac musste den Zulassungstermin immer weiter nach hinten verschieben und nun zugeben, dass es die „vorgegebenen statistischen Erfolgskriterien“ nicht erreicht. Für die Corona-Impfstoffe hat die Europäische Arzneimittelagentur eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent vorgegeben, die Weltgesundheitsorganisation verlangt sogar mehr als 80 Prozent. Der Aktienkurs brach danach in der Spitze um mehr als die Hälfte ein.

Wie konnte es nur dazu kommen? Auffallend ist, dass bei Gesprächen über die Firma mit Spezialisten immer wieder der Satz fällt: „Es tut uns leid um Curevac.“ Der Mitbegründer des Unternehmens Ingmar Hoerr hatte vor 20 Jahren zufällig die sogenannte mRNA-Impfung entdeckt, als er einer Kontrollgruppe von Mäusen RNA-Moleküle injizierte. Die genbasierten Impfstoffe enthalten Informationen über den „Bauplan“ oder Code eines bestimmten Virusmerkmals. Anhand der Informationen kann der Körper selbst Antigene produzieren und eine Infektion gezielt bekämpfen. Und ausgerechnet der Erfinder hat nun Schwierigkeiten, seinen Impfstoff durchzubringen?

„Dafür gibt es viele Gründe, die da mit reinspielen. Dass wir so spät gestartet sind, ist nur einer davon“, sagt eine Sprecherin. Curevac hatte lange Zeit Probleme, an Geld zu kommen. SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp war lange alleiniger Finanzier.

Der Staat beteiligte sich erst spät. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) begründete das Engagement ausdrücklich nicht nur mit der Forschung an einem Corona-Impfstoff: Die Technologie des Tübinger Unternehmens habe das Potenzial, neue Impfstoffe und therapeutsche Behandlungsmöglichkeiten für viele Menschen zu entwickeln.

Erst nach langer Zeit fand Curevac mit dem Unternehmen Bayer einen Partner. Auch fehlende Maschinen auf dem Weltmarkt stressten das Unternehmen. Dazu kam eine Gehirnblutung von Hoerr, die das Unternehmen über Wochen lähmte. Curevac startete erst Ende vergangenen Jahres mit der zulassungsrelevanten Studie, als Konkurrenten bereits ihre Impfstoffe auslieferten.

Curevac-Chef Franz-Werner Haas teilte mit, man habe auf stärkere Ergebnisse in der Zwischenanalyse gehofft. Man wolle die laufende Studie aber dennoch bis zur finalen Analyse fortsetzen. „Die endgültige Wirksamkeit könnte sich noch verändern.“

Ein katastrophales Ergebnis für das Unternehmen und das Management sieht Theodor Dingermann, ehemaliger Professor für Pharmazeutische Biologie in Frankfurt am Main, in den Ergebnissen. Doch es sei auch nicht so verheerend, wie es klinge. Die Impfstoffe von Biontech und Moderna hätten heute ebenfalls nicht mehr die Schutzwirkung aus der Zeit, als es nur die Wuhan-Virusvariante gab. Der Curevac-Impfstoff funktioniere und werde, falls das Unternehmen weiter bestehe, vermutlich für Impfungen einsetzbar sein, sagt Dingermann. Gleichwohl nützen laut Professor Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie die älteren Biontech- und Moderna-Impfstoffe auch gegen die neure Delta-Variante – bei denen Curevac allem Anschein nach schwächelt.

Ob in der Endauswertung in zwei bis drei Wochen der Impfstoff aus Tübingen über die nötigen 50 Prozent oder gar 80 Prozent kommt, ist fraglich. Zwar liegt bei Grippe-Impfstoffen die Wirksamkeit laut Zeeb auch nur zwischen 20 und 30 Prozent – und sie bieten dennoch effektiven Schutz –, bei einem Serum gegen Corona wird aber ein höherer Erfolg erwartet. Die Diskussion um das Serum von Astra-Zeneca mit 80-prozentigem Schutz hat gezeigt, dass eine deutlich niedrigere Wirksamkeit zur Ablehnung des Impfstoffs in der Bevölkerung führt. Wenn es Top-Produkte gibt, warum soll sich jemand mit viel weniger zufrieden geben?

Vielleicht ist aber ja der Folgeimpfstoff erfolgreicher: Curevac arbeitet bereits seit längerem mit dem britischen Pharmaunternehmen Glaxosmithkline an einer zweiten Generation. Diese soll besser vor Virusvarianten schützen, sich bei höheren Temperaturen aufbewahren und transportieren lassen und ab Herbst in klinischen Studien getestet werden. Die vorklinischen Ergebnisse seien vielversprechend, hieß es.

Regierung hält an Beteiligung fest

Für den Bund sind die Nachrichten von Curevac ebenfalls ein Rückschlag. Er war über die Staatsbank KfW im Juni 2020 mit 300 Millionen Euro eingestiegen. Da er sich an Kapitalerhöhungen nicht beteiligte, beträgt der Anteil noch 17 Prozent. Für das Bundeswirtschaftsministerium unter Führung von Peter Altmaier (CDU) steht die Beteiligung nicht in Frage. Die Bundesregierung verfolge weiter gesundheitspolitische Ziele. Ziel des Einstiegs sei es gewesen, mehr Impfstoffproduktion in Deutschland und Europa anzusiedeln. Zudem gehe es darum, die Forschung und das Know-how bei der mRNA-Technologie zu stärken. Sie biete etwa auch in der Krebsbekämpfung viele Möglichkeiten.