Nachruf

Ein genialer Kulturmacher

Der Kulturwissenschaftler Martin Roth starb mit 62 Jahren

07.08.2017

Von Ulla Steuernagel

Martin RothArchivbild: Metz

Martin RothArchivbild: Metz

Dass er schwer krank war, hatte man Martin Roth seit einigen Monaten angesehen. Er war extrem abgemagert und schien über Nacht gealtert, als er im Mai dieses Jahres die Ehrensenatorenwürde der Tübinger Universität in der Schlosskapelle entgegennahm. Trotz fortschreitender Krebserkrankung hielt den 62-Jährigen jedoch nichts von einem umtriebigen Leben ab, er jettete durch die Welt, gab Interviews, mischte sich ein und schrak nicht davor zurück, sich politisch angreifbar zu machen. Zuletzt indem er den aserbaidschanischen Pavillon der Biennale in Venedig kuratierte.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Martin Roth fünf Jahre lang Chef eines der wichtigsten Museen der Welt: dem Victoria und Albert Museum in London. Er machte es mit Ausstellungen über David Bowie und Modezar McQueen zum Publikumsmagneten. Nach dem Brexit legte Roth jedoch einen spektakulären Abgang hin, er verließ London – und irgendwie schien noch viel Zukunft vor ihm zu liegen. Manch einer sah ihn schon als den kommenden deutschen Kulturstaatsminister.

In den achtziger Jahren hatte der Mann mit dem ernsten Blick in Tübingen studiert und promoviert. Sein Fach war ein Fach, das in der Regel nicht auf eine internationale Karriere vorbereitet. Empirische Kulturwissenschaft sollte eher für Aufgaben im Heimatbereich fitmachen. Roth begann am Ludwig-Uhland-Institut (LUI) zwar sich mit Heimatmuseen – vor allem im Nationalsozialismus – zu beschäftigen, bald aber verließ er die schwäbische Heimat. Der gebürtige Stuttgarter forschte bei Pierre Bourdieu in Paris und begann dann am Historischen Museum in Berlin zu arbeiten. Von dort ging es nach Dresden, wo er als 36-Jähriger die Leitung des Hygienemuseums übernahm und dieses kräftig entstaubte. Neben dem Dresdener Haus managte er auch noch die Themenausstellungen der Expo 2000 in Hannover.

2004 kam Roth auf einen kurzen Besuch nach Tübingen. Dabei kehrte er erstmals nach seinen Studienjahren in das kleine Institut auf dem Tübinger Schloss zurück –sozusagen als Vorzeige-Karrieremacher. Gerade war er Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden geworden. Alles nur Glück, sagte er bescheiden. Aus Tübingen sei er nur „auf der großen Museumswelle rausgesurft“. Er selber habe nie zu den eifrigsten Studenten gehört, die Intimität des LUI habe ihn zum Studieren genötigt: „Da traf man den Bausinger und bekam ein schlechtes Gewissen, wenn man seine Seminararbeit noch nicht erledigt hatte.“ Sein wissenschaftlicher Lehrmeister war vor allem der Kulturwissenschaftlicher und Ausstellungsmacher Gottfried Korff. Keinem verdanke er mehr als ihm, sagte Roth einmal.

Roth galt vor allem als genialer Kulturmacher und charmant-geschickter Fädenzieher. Nach London übernahm der Honorarprofessor auch in Deutschland gleich wieder einen Sack voll Aufgaben. Er wollte sich einmischen, und das tat er als ehrenamtlicher Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen und in der Initiative Offene Gesellschaft, die für eine multikulturelle Gesellschaft eintritt.

Seine Erkrankung sei nicht der Grund für den Abschied aus London gewesen, so sagte Roth im Juni im Interview mit der „Sächsischen Zeitung“. Die Krebsdiagnose bekam er erst nach seinem Ausscheiden dort. Ob er Angst habe vor dem Tod, wurde er ebenfalls gefragt. „Es gibt sie, die Nächte voller Angst und Sorge“, antwortete er darauf. „Doch um das Leben voll genießen zu können, muss man wissen, was Angst bedeutet.

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Erstellt:
07.08.2017, 19:15 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 39sec
zuletzt aktualisiert: 07.08.2017, 19:15 Uhr

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