Tübingen · Nachruf

Wilhelm Sauer: Ein enzyklopädischer Forscher

Der Tübinger Botaniker Prof. Wilhelm Sauer starb im Alter von 85 Jahren.

04.04.2020

Von Mike Thiv, Michael Koltzenburg, Vera Hemleben, Matthias Schlee

Prof. Wilhelm Sauer Privatbild

Prof. Wilhelm Sauer Privatbild

Ein Leben für die Wissenschaft, Forschung und Lehre ist zu Ende gegangen: Prof. Wilhelm Sauer, ein detaillierter Kenner der heimischen und fremdländischen Flora, ein großer Reisender und Professor an der Universität Tübingen starb am 13. März im Alter von 85 Jahren.

Seine Kindheit verbrachte Wilhelm Sauer in Oberösterreich, im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet. Bereits zu dieser Zeit zeigte er ein intensives Interesse für die Naturkunde in ihrer gesamten Breite. Insbesondere widmete er sich damals der Insektenkunde, welche schon seinen Vater begeisterte.

Nach der Schule studierte Wilhelm Sauer in Graz das Fach „Naturgeschichte“ mit Schwerpunkt Botanik. Sein Studium schloss er 1963 mit einer Promotion über den Formenkreis der Steirischen Nabelmiere, einem Nelkengewächs, ab. In den 1960er Jahren arbeitete er als Gymnasiallehrer in der Steiermark und in Heilbronn, bevor er dann als Assistent an die Universität Graz zurückkehrte. 1974 habilitierte er sich an der Universität München mit einer umfangreichen Schrift zur Evolution der Lungenkräuter. Im Herbst 1980 erhielt er die Ernennung zum Professor und folgte noch im gleichen Jahr dem Ruf auf den Lehrstuhl für Spezielle Botanik und Mykologie in Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 tätig war. Neben den Lungenkräutern arbeitete er vor allem an den Verwandtschaftsverhältnissen der Gattung Iris und von Wildhafern sowie an Fragestellungen zur Vegetationskunde und Ökologie. Dank seines vegetationskundlichen Interesses erkannte er als einer der ersten, dass 11983 mit dem Bergrutsch am Hirschkopf bei Mössingen ein einzigartiges geobotanisches Forschungsobjekt „direkt vor der Haustür“ entstanden war, das er durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten untersuchen ließ.

Die unter seiner Ägide eingerichteten Dauerbeobachtungsflächen erfüllen noch heute ihren Dienst – sie werden regelmäßig begutachtet und dokumentieren seit nunmehr über 35 Jahren die pflanzliche Wiederbesiedlung des Bergrutsches.

Wilhelm Sauer verstand es, sein enzyklopädisches Wissen interessierten Studentinnen und Studenten in Vorlesungen, Praktika und auf Exkursionen zu vermitteln. Er konnte stets einen Kreis von botanisch Interessierten für die Pflanzenwelt sowie für geologische und zoologische Aspekte begeistern.

Neben den universitären Exkursionen, die Wilhelm Sauer in die Alpen, nach Ungarn, in den Balkan, nach Italien oder nach Georgien führten, war er mit seiner Frau Gerda Sauer in vielen Regionen der Erde, vor allem auch China, unterwegs. So konnte er alle Kontinente und sogar die Antarktis besuchen. Immer hatte er dabei die Pflanzenwelt und stets auch die Kulturen der verschiedensten Länder im Blick, wobei ihm, neben den klassischen Sprachen, auch sein fließendes Italienisch, Mandarin und Russisch zugute kamen. Das Ehepaar Sauer baute ein umfangreiches Herbarium mit über 50 000 Belegen auf. Diese Sammlung wurde 2014 in das Herbarium des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart überführt.

Mit Wilhelm Sauer hatte die Wissenschaft einen Biologen mit einem Wissen gewonnen, welches sich heute selten in einer Person vereinigt. Er verstand es, seine Kenntnisse auf vielen Gebieten der Natur- und Geisteswissenschaften zu einem weiten Weltbild zu verknüpfen.

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Erstellt:
04.04.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 30sec
zuletzt aktualisiert: 04.04.2020, 01:00 Uhr

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