Leitartikel

Grün-Schwarz – ein Zukunftsmodell?

Ein Neustart soll das also sein, kein „Weiter so“. Die Fortsetzung der grün-schwarzen Koalition soll nach Aufbruch und Anfangszauber duften, bloß nicht aufgewärmt und altbekannt. Der Wunsch ist verständlich, der Wille aber nachweispflichtig.

06.05.2021

Von AXEL HABERMEHL

Stuttgart. Denn der Blick auf die jüngere Geschichte nährt Zweifel. Bisher war Grün-Schwarz ein von viel Streit und Blockaden geprägtes, durch viel Geld zusammengehaltenes Zweckbündnis.

Grün-Schwarz war und ist eine große Koalition. Im subjektiven Verständnis der Beteiligten aber handelte es sich bisher um eine „Komplementärkoalition“. Grüne wie CDU – nach der Wahl 2016 fast gleich stark – durften in einem gemeinsamen Gut jeweils eigene Äcker bewirtschaften. Dem Koalitionspartner in die Parzelle zu spucken, seine Methoden in Frage zu stellen oder auch nur Ratschläge über den Zaun zu rufen, war zwar verpönt, fand aber in großem Maße statt. Fortlaufend wurde hinter den Kulissen gemault und gelästert, gebremst und obstruiert. Die Grünen rupften Polizeigesetze des CDU-Chefs und Innenministers, die Schwarzen zerpflückten das Klimaschutzgesetz des grünen Umweltministers.

Nun soll alles anders werden. Jedenfalls beteuern das die Protagonisten des Bündnisses. Doch Fragezeichen sind auf beiden Seiten angebracht. Die Spitze der CDU, nach Stimmenverlusten der inzwischen deutlich kleinere Koalitionspartner, müht sich etwa in diesen Tagen nach Kräften, den Eindruck zu erwecken, aus Überzeugung an die Spitze der Klimaschutz-Bewegung gesprintet zu sein. Das erfüllt einerseits den überfälligen Zweck, die Partei inhaltlich zu modernisieren und für Wähler attraktiver zu machen. Andererseits soll die Flucht nach vorne die Kosten überdecken, mit denen CDU-Chef Strobl die Fortsetzung der Koalition erkauft hat. Die Grünen konnten nach dem Wahlergebnis die Preise diktieren, für die CDU stand viel auf dem Spiel. Entsprechend ist der Koalitionsvertrag in weiten Teilen mit grüner Tinte geschrieben. Ob das die CDU fünf Jahre mitmacht, ob die Basis Strobl wirklich folgt, ist längst nicht ausgemacht.

Auch bei den Grünen stellen sich Fragen: Wie reagieren die Ökos, die derzeit vor Kraft kaum laufen können und vom Kanzleramt träumen, wenn der Aufbruch ausbleibt, den großen Ankündigungen im Land nicht bald Erfolge folgen? Wenn nicht zügig Windräder sprießen, sondern Entwürfe grüner Minister plötzlich wieder vom CDU-Wirtschaftsministerium mit kritischen Nachfragen garniert zurückkommen? Und welche Auswirkungen hätte es, falls der 72-jährige Ministerpräsident Winfried Kretschmann, wie viele erwarten, vorzeitig sein Amt niederlegt?

Grün-Schwarz 2.0 hat eine faire Chance verdient. Kein anderes Bündnis hätte so viele Wähler vertreten. Die Parteien stellen die mit Abstand stärksten Fraktionen im Landtag. Die gewählten Themenschwerpunkte klingen vernünftig. Doch angesichts der vergangenen fünf Jahre sind Zweifel angebracht. Das Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Fünf weitere Jahre Dauerstreit kann es sich nicht leisten.

leitartikel@swp.de

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Erstellt:
06.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 06.05.2021, 06:00 Uhr

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