Verspätungs-Chaos im Zugverkehr

Ein Tübinger soll die Bahn auf Trab bringen

Der Tübinger Gerhard Schnaitmann will als Bahn-Sonderbeauftragter von Verkehrsminister Winfried Hermann genervten Fahrgästen helfen.

11.02.2017

Von Volker Rekittke

Auch am Tübinger Hauptbahnhof fallen zum Verdruss der Fahrgäste immer wieder Züge Richtung Stuttgart aus.Bild: Metz

Auch am Tübinger Hauptbahnhof fallen zum Verdruss der Fahrgäste immer wieder Züge Richtung Stuttgart aus.Bild: Metz

„Schon wieder Zugausfall. Es ist so dermaßen ärgerlich“, tat Boris Palmer am 30. Januar seinen Ärger via „Facebook“ kund. Dabei ist Tübingens Oberbürgermeister ein bekennender Bahnfan. Doch langsam ist er die Zugausfälle leid. Schon mehrfach sei er am Tübinger Hauptbahnhof „in die Falle getappt“, habe einige hundert Euro Taxikosten berappen müssen, um pünktlich zu seinen Terminen zu gelangen. Früher sei zumindest der Regionalexpress (RE) um kurz nach Halb eine sichere Bank gewesen (siehe Bild oben): „Jetzt fällt auch der immer wieder aus.“

Ärger über Verspätungen und Zugausfälle: So wie Palmer dürfte es manchen Tübinger Berufspendlern Richtung Reutlingen-Nürtingen-Stuttgart gehen. Oder Reisenden, deren Anschlusszug in der Landeshauptstadt weg ist.

Der Tübinger OB vermutet: „Die DB scheint sich für unsere Züge nicht mehr zu interessieren, seit sie die Ausschreibungen verloren hat.“ Tatsächlich wird die Strecke Tübingen-Stuttgart ab 2020 hauptsächlich von der niederländischen Abellio bedient (siehe Kasten).

So weit will Gerhard Schnaitmann nicht gehen. Allein für die häufigen Zugausfälle zahle die Bahn derzeit jede Woche rund 250 000 Euro Strafe ans Land – macht eine Million im Monat: „Die sparen kein Geld, die legen bei so einem schlechten Betrieb sogar noch drauf.“ Vor ein paar Tagen erst hatte Schnaitmann einen Anruf seines grünen Parteifreundes Winfried Hermann bekommen. Der Verkehrsminister machte den 65-jährigen Tübinger, der da erst seit gut vier Wochen im Ruhestand weilte, zum „Sonderbeauftragten des Landes für Qualität im regionalen Schienenverkehr“. Zuvor hatte der frühere Tübinger Realschullehrer 20 Jahre lang für die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg gearbeitet, wo er für Fahrpläne zuständig war.

Auch im Stuttgarter Ministerium ist man mittlerweile äußerst ungehalten über die zahlreichen Zugausfälle. Doch bevor Minister Hermann rechtliche Schritte gegen die DB einleitet, soll erstmal Schnaitmann ran. Einen festen Ansprechpartner bei der „DB Regio“ hat der bereits – und den ersten Erfolg kann er ebenfalls präsentieren: Seit dieser Woche steht in Stuttgart permanent ein Doppelstock-Zug samt Lokführer bereit, um ausfallende Züge in der Region rasch zu ersetzen. Schnaitmann will in Ulm, Heilbronn und Friedrichshafen drei weitere solcher Reserve-Züge – bezahlt aus Strafgeldern, die die Bahn ans Land zahlt.

„Das System ist völlig aus den Fugen geraten“, sagt Schnaitmann im Gespräch mit dem TAGBLATT. „Im Interesse der Fahrgäste“ will er nun mit der Bahn darauf hinarbeiten, dass keine Züge mehr ausfallen, dass sie mit genügend Waggons und pünktlicher abfahren: „Der Jammer ist, dass ständig Wagen fehlen.“

Wo liegen die Ursachen für das derzeitige Chaos? Über die Jahre habe die Bahn gerade im Württembergischen allzu sehr gespart, so Schnaitmann: „Es sind nirgendwo mehr Reserven da.“ Da kann es rasch zum Problem werden, wenn Personal wegen Krankheit ausfällt. Hinzu komme fehlendes Material, veraltete und teils nicht miteinander kompatible Loks und Wagen. Zudem seien die Nahverkehrsverträge zwischen Bahn und Land häufig nicht sehr praxisnah. Manche Planung müsse angesichts der Realität vor Ort überprüft und verändert werden. Und das möglichst schnell und flexibel.

„Es fehlt oft an Entscheidungswillen, um unbürokratische Lösungen zu finden“, sagt Schnaitmann: „Eisenbahn ist ein extrem hierarchisches System. Die DB wird von ihren schwerfälligen Strukturen beeinträchtigt.“ Aber auch im Stuttgarter Verkehrsministerium macht Schnaitmann „Hierarchien und viel Bürokratie“ aus.

Gerhard SchnaitmannBild: Metz

Gerhard SchnaitmannBild: Metz

Verkehrsministerium: „Stuttgart-Tübingen zählt nicht zu den Problemstrecken“

Auch wenn die Erfahrungen etlicher Tübinger Stuttgart-Pendler anders sein dürften: „Der Regionalexpress Stuttgart-Tübingen zählt nicht zu den Problemstrecken“, so Edgar Neumann, Sprecher des Landesverkehrsministeriums. Die „Linienpünktlichkeit“ – also der Anteil der Züge, die nicht mehr als sechs Minuten verspätet sind – habe beim RE Stuttgart-Tübingen im Januar bei 94 Prozent gelegen. DB-weit waren es nur 90,9 Prozent. Und die durchschnittliche
Zugausfallquote beim
RE Stuttgart-Tübingen lag bei 1,7 Prozent der vom Land bei der Bahn bestellten Zugkilometer. Der Landesdurchschnitt der DB lag im Januar bei 2,2 Prozent.

Ab Juni 2020 wird Abellio den RE Stuttgart-Tübingen übernehmen, so Neumann. Zusätzlich soll Abellio alle zwei Stunden den IRE Stuttgart-Tübingen fahren: Zusammen mit den weiter von der DB gefahrenen Zügen soll es künftig einen Stundentakt beim IRE geben. Abellio ist eine Tochter der niederländischen Staatsbahnen und hat in Deutschland bereits mehrere Netze von der DB übernommen – „ohne Startprobleme“, so Neumann. Mit dem „Talent“-Zugmodell werde Abellio „eine bereits am Markt erprobte Baureihe“ einsetzen.