Ein Trip nach Feuerland

Filmpreis für Tübinger Festivalleiter

Ein Roadmovie mit Alien-Baby gewinnt einen doppelten Teddy-Award. Mitproduzent ist der Tübinger Cinelatino-Festivalleiter Paulo de Carvalho.

26.02.2019

Von Dorothee Hermann

Paulo de Carvalho. Archivbild: Jürgen Spieß

Paulo de Carvalho. Archivbild: Jürgen Spieß

Kurze Geschichte vom grünen Planeten (Breve Historia del Planeta verde) heißt der Film um die Transfrau Tania (Romina Escobar), die mit ihren Freunden Daniela und Pedro ans südliche Ende von Argentinien reist, um ein Alien-Baby zu dem Landeplatz zurückzubringen, an dem es vor Jahren die Erde erreicht hatte. Zwischenzeitlich hatte es Tanias Großmutter in Buenos Aires liebevoll Gesellschaft geleistet.

Die Grundidee überzeugte Paulo de Carvalho von Anfang an, sagte der mittlerweile meist in Berlin lebende Filmenthusiast und Produzent dem TAGBLATT im Telefon-Interview. Wegen dieses E.T.-Babys verlassen drei Figuren der Nacht, aus dem Untergrund von Buenos Aires, das urbane Umfeld und begeben sich aufs Land, wo das Starship der Aliens wartet. Von vergleichbaren technischen Möglichkeiten können die Erdlinge nur träumen: Sie gehen zu Fuß und schleppen sogar einen Koffer durch die Wildnis. Für ihre Verhältnisse erleben die Metropolenbewohner maximale Fremdheit. Der Film mischt die Genres: Science Fiction, Roadmovie, LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender). „Das macht ihn ein bisschen anders“ und zeigt, dass das lateinamerikanische Kino auch andere Wege gehen, andere Geschichten erzählen kann, sagt de Carvalho. Genau das versucht er mit der Produktionsfirma „autentika films“, die er gemeinsam mit Gudula Meinzolt betreibt.

Mit Darstellern, Kameramann und Regisseur Santiago Loza machte sich auch der Ex-Tübinger in den äußersten Süden von Argentinien auf, in „die letzte bewohnte Region vor dem Südpol“. Im März 2018 war es in Feuerland ziemlich kalt. Aber: „Es war gut zu sehen, wie das läuft – statt nur Geld hinzuschicken.“

Eine Transfrau, ein Schwuler und eine Depressive: Tania (Romina Escobar, rechts) mit ihren Freunden unterwegs im Süden Argentiniens. Bild: autentika films

Eine Transfrau, ein Schwuler und eine Depressive: Tania (Romina Escobar, rechts) mit ihren Freunden unterwegs im Süden Argentiniens. Bild: autentika films

Der Aufwand hat sich gelohnt: Das schräge Roadmovie wurde soeben bei der Berlinale mit dem Teddy-Award als bester Spielfilm und zudem mit dem Reader’s Award der Webseite queer.de ausgezeichnet.

Aus der Feierstimmung über die Auszeichnung kommt de Carvalho allmählich wieder in der Realität an. Die Berlinale ist für ihn ohnehin immer Ausnahmezustand. Er hat dann zwei Wochen Gäste aus aller Welt. Diesmal wohnte „Breve Historia“-Regisseur Santiago Loza ein paar Tage bei ihm in Schöneberg. „Wir haben nicht mit einem Preis gerechnet“, sagte de Carvalho. Doch die Auszeichnung sieht er auch als Ansporn: „Im Film geht es auch um Freundschaft. Wenn man gut zusammenhält, klappt die Sache.“

Dass das Alien in niedlicher Babygröße vorkommt und nicht als ausgewachsenes, gewaltiges Ungeheuer, war auch eine Frage des Geldes (unter anderem für Spezialeffekte). Zudem ist es nicht die Schlüsselfigur. „Es ist der Auslöser. Es bringt diese Leute zusammen.“ Wie das Baby aus dem All seien die drei Protagonisten „in der Gesellschaft ja auch ein bisschen außerhalb“: eine Transfrau, ein Schwuler, eine Depressive. „Sie sind alle Außerirdische in dieser Gesellschaft.“ Durch die aktuellen politischen Veränderungen in Brasilien und Argentinien mit ihren stark nach rechts driftenden Gesellschaften dürfte homophobe oder rassistische Ausgrenzung von Minderheiten noch zunehmen, befürchtet de Carvalho. Für ihn ist es eine der Auswirkungen der neoliberalen Politik, „dass diese Minderheiten stigmatisiert werden“. Doch die Protagonisten des Films unterwerfen sich den Machtverhältnissen nicht, sondern vollbringen ein kleines Wunder: Sie resignieren nicht. „Sie tun sich zusammen.“ Von einem Kritiker hörte de Carvalho: „Die Beleidigten geben nicht auf.“

Gegen Homophobie setzt er darauf, „den Außenseitern das Wort (zu) geben“. In Argentinien und Brasilien stehe mit der gesamten Kulturpolitik auch die Filmförderung auf dem Spiel, sagte der Ex-Tübinger. „Bolzonaro (der neue brasilianische Staatspräsident Jair Bolzonaro) hasst Kultur.“ De Carvalho sieht schwarz für die beiden großen Filmländer Brasilien und Argentinien, die derzeit pro Jahr noch jeweils 120 bis 140 Filme herausbringen. Dann könnten die Hoffnungen des lateinamerikanischen Kinos vor allem auf Mexiko ruhen, wo Alfonso Cuaróns Drama „Roma“ soeben den Oscar für die beste Regie holte.

In diesen politischen Kräfteverhältnissen ist die „Kurze Geschichte vom grünen Planeten“ eine herrlich skurrile Irritation. Beim diesjährigen Tübinger Cinelatino vom 10. bis 17. April läuft der Film aber nicht, so de Carvalho: „Ich zeige in der Regel keine Eigenproduktionen.“

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Erstellt:
26.02.2019, 19:41 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 26.02.2019, 19:41 Uhr

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