Rottenburg · Kinderbetreuung

Der Gummistiefel-Kindergarten

Den Rottenburger Waldkindergarten gibt es jetzt seit 20 Jahren. Am Samstag wurde das mit Musik und einem Entdeckerpfad im Wald gefeiert.

27.05.2019

Von Dunja Bernhard

Beim Waldkindergarten steht dran, wo die Bühne ist. Dort sangen Kinder und Erzieherinnen ein Lied über Waldtiere und erzeugten mit Tannenzapfen, Stöcken und Wasserflöten Tiergeräusche. Bilder: Dunja Bernhard

Beim Waldkindergarten steht dran, wo die Bühne ist. Dort sangen Kinder und Erzieherinnen ein Lied über Waldtiere und erzeugten mit Tannenzapfen, Stöcken und Wasserflöten Tiergeräusche. Bilder: Dunja Bernhard

Der Rottenburger Waldkindergarten ist am Martinsberg im Lauberbühlweg. Am Samstag war der Weg dorthin ausgeschildert, Parkplätze für die Besucher waren auf Wiesen abgesteckt. Der sonst so ruhige Platz vor der Holzhütte glich einem Festplatz. Doch einiges war anders als bei gewöhnlichen Festen. Über offenem Feuer buken Kinder und Erwachsene Stockbrot, die Toilettenräume hatten Holzwände, der „Pipi-Platz“ ähnelte der römischen Latrine im Sumelocenna-Museum.

Die „Frischlinge“ des Waldkindergartens eröffneten die Feier am Samstag mit einem Lied, in dem sie Tierlaute auf Wasserflöten, mit Stöcken und hölzernen Instrumenten nachahmten. Passende Tiermasken schmückten ihre Gesichter. Kerstin Miller, die Vorsitzende des Vereins „Die Frischlinge“, dankte ihren Vorgänger-Vorständen und vor allem den Initiatoren des Waldkindergartens. „Sie haben nie den Mut verloren und einen riesengroßen Idealismus gehabt.“

Eine Frau der ersten Stunde ist die Erzieherin Mary Becker. Sie ist seit 20 Jahren dabei. Als Dankeschön überreichte ihr Kerstin Miller einen Lavendelbusch. Etliche ehemalige Waldkindergarten-Kinder und -Eltern waren gekommen. An einer Bilderwand konnten sie in Erinnerungen schwelgen. Revierförster Lorenz Truffner war ebenfalls da. Er stehe dem Waldkindergarten mit Rat und Tat zur Seite, sagte Miller. Auch wenn es darum gehe, ob die Kinder nach einem Sturm wieder in den Wald können.

Stellwände mit Fotos von Ehemaligen stehen beim Waldkindergarten mitten in der Natur. Da gab es alte Bekannte zu entdecken. Bilder: Dunja Bernhard

Stellwände mit Fotos von Ehemaligen stehen beim Waldkindergarten mitten in der Natur. Da gab es alte Bekannte zu entdecken. Bilder: Dunja Bernhard

Oberbürgermeister Stephan Neher sagte, die 20 Jahre zeugten davon, dass es sich nicht um eine kurze Idee gehandelt habe oder um eine Pädagogik, die nur wenige für ihr Kind wollten. Er frage sich vielmehr: „Warum ist man erst vor 20 Jahren drauf gekommen?“ Die Stadt begrüße das Angebot, weil es zur Vielfalt der Kinderbetreuung beitrage. Noch einen weiteren Vorteil hat ein Waldkindergarten: Es ist kein teurer Kindergartenbau nötig. „Von mir aus könnte es noch viel mehr Waldkindergärten geben“, sagte der OB. Seit 2017 gibt es auch in Hailfingen einen Waldkindergarten. „Heute ist es nicht mehr nötig, alles selbst zu erfinden“, sagte OB Stephan Neher.

Herkömmliche Kindergärten nennen die Waldkinder „Hausschuh-Kindergärten“. Die Spielräume der Waldkinder sind im Freien. Wer am Samstag dem Schild „Waldspiele“ folgte, kam dorthin. Die Forststudenten Dominik Weber und Elisabeth Klingenberg hatten dort Attraktionen aufgebaut, die selbst Kinder begeistern, die sich fünf Tage in der Woche in der Natur aufhalten. Zwischen den Bäumen waren Seile gespannt, die den Kindern als „Pirschpfad“ dienten. Zwischen dem Buschwerk hatten die Studenten ausgestopfte oder ausgesägte Tiere versteckt: Dachs, Wildschwein, Fuchs und Schwarzspecht. Die galt es zu entdecken. In einem Zelt lagen Ferngläser, die die Suche erleichterten.

Auf einem Dendrophon aus frei hängenden Ästen verschiedener Baumarten konnten die Kinder mit Stöcken unterschiedliche Töne erzeugen. Ein gutes Gleichgewicht war für die Slackline nötig. Außerdem gab es Mikroskope und einen Stand zum Sägen. Dieses Angebot bietet die Forsthochschule auch für Schulklassen an, berichtete Weber. Dann meist in Rahmen eines Waldspaziergangs.

Als besonderen Gast hatte der Waldkindergarten den Tübinger Liedermacher Hans Spielmann eingeladen.

Aus einer Elterninitiative entstanden

Der Waldkindergarten „Die Frischlinge“ entstand 1999 aus einer Elterninitiative heraus. Damals gab es in Rottenburg zu wenig Kindergartenplätze. Der Waldkindergarten nimmt 20 Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt auf. Der Trägerverein beschäftigt vier Erzieherinnen mit waldpädagogischer Fortbildung. Eine beheizbare Hütte steht für extreme Wetterbedingungen und als Lagerraum zur Verfügung. So viel es geht, halten sich Kinder und Erzieherinnen im Freien auf. Der Waldkindergarten hat eine Kernzeit von 8 bis 12.30 Uhr. Maximale Betreuung ist von 7.30 bis 13.30 Uhr möglich.

Ein neues Angebot ist die Waldläufer-Gruppe für 5- bis 12-Jährige, die sich einmal im Monat samstags treffen. Für die Kindergartenkinder ist so der Übergang in die Schule sanfter. Die Erzieherinnen können den weiteren Weg ihrer Schützlinge verfolgen.

Bundesweit gibt es 2000 Waldkindergärten und Kindergärten mit naturpädagogischem Konzept. In den vergangenen fünf Jahren hat sich das Angebot mehr als verdoppelt.

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Erstellt:
27.05.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2019, 01:00 Uhr

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