Keine Schmuddelkinder

Ein Schwuler schwärmt vom Südufer des Kirchentellinsfurter Baggersees

Nackt baden am Südufer, Sex am See. Damit ist es wohl bald vorbei, wenn die Wakeboardpläne am Kirchentellinsfurter Baggersee verwirklicht werden. Ein bekennender Schwuler und Nacktbader aber wehrt sich: Das Südufer ist auch ein Sozialbiotop.

28.09.2016

Von Manfred Hantke

Kirchentellinsfurt: Baggersee mit Schmuddelecke oder Sozialbiotop Südufer? Archivbild: Grohe

Kirchentellinsfurt: Baggersee mit Schmuddelecke oder Sozialbiotop Südufer? Archivbild: Grohe

Er hätte nichts dagegen, seinen richtigen Namen und auch sein Bild im TAGBLATT zu sehen, ginge es darum, sich als Schwuler und Nacktbader zu äußern. Doch der Mann hat Bedenken, dass ihm ein Bußgeldbescheid ins Haus flattert. Denn Sebastian K. (nennen wir ihn mal so, sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt) badet am liebsten dort nackt, wo er es nicht darf: am Südufer des Kirchentellinsfurter Baggersees. Dort ist ein geschützter Grünbestand, das Betreten ist verboten.

Schon seit 25 Jahren geht der 47-jährige Tübinger ans Südufer, beteiligt sich am Cruising, hält Ausschau nach Sexualpartnern. Dort hat er vor 14 Jahren auch seinen Freund kennengelernt. Was Sebastian K. mächtig wurmt: Seit der Diskussion um die Wakeboardanlage auf dem See und über den Bruchwald am Südufer sieht er die Nacktbader, Schwulen und Swinger als Interessengruppe nicht wahrgenommen. Sie würden in die Schmuddelecke gesteckt, seien „Anstoß für Gemeinderat und Bürgermeister“. So sehr, dass man ihnen und ihrem „freilufterotischen Treiben“ den Garaus machen will.

Doch „wir sind keine Schmuddelkinder“, sagt der Tübinger. Am Südufer gehe es „friedlich-harmonisch“ zu. „Ich hab’s immer sehr geschätzt, dass es naturnah ist“, also „die ganze Zivilisationsinfrastruktur“ (Kiosk, Musik) fehle. Ihm gefalle das Urwüchsige, das soziale Miteinander, das „Softbaden“ ohne Radio und ohne Grill – „wie vor Urzeiten, ein reiner Paradiesgarten“, schwärmt er. An „ruhigen Wochentagen“ seien zwischen 40 und 50 Nacktbadende dort, am Wochenende freilich mehr, aber das Südufer sei „nicht übervölkert, kein Gedränge“. Textilbadende ließen sich dort nicht blicken, es sei ein abgeschirmtes Gebiet, was sich im Laufe der Zeit so ergeben habe.

Zwischenmenschliche Probleme hat der 47-Jährige noch nicht erlebt. Die Nacktbadenden kommen aus allen sozialen Schichten. „Jeder weiß, wo er hingeht“. Wenn sich „erotische Ereignisse in der Tiefe der Büsche“ abspielten, störe das niemanden. Abfälle hinterließen sie nicht, „höchstens mal ein Papiertaschentuch“. Dass das Südufer geschützt ist, habe er lange nicht gewusst. Von der Kirchentellinsfurter Seite her sei kein Schild erkennbar.

Scharf grenzt sich der Tübinger von der (Schwulen- und Cruiser-) „Szene“ auf dem Parkplatz vor dem Nordufer ab. Der Parkplatz soll „nicht zweckentfremdet“ werden, „Anmache geht nicht, das ist nicht in Ordnung“, sagt er. Doch es seien „ganz, ganz wenige, die sich nicht zu benehmen wissen“. Die Polizei sehe dort auch keinen Kriminalitätsschwerpunkt.

Das Nacktbadepublikum am Südufer hingegen sei nicht auf Skandalisierung aus, so der 47-Jährige. Dort gehe es nicht nur um Sex, es gehe auch um Gemeinschaft, Akzeptanz, Wertschätzung. Der „kleine Kosmos“ habe auch eine soziale Funktion. Ihm komme es darauf an, dass das „Sozialbiotop“ Südufer als „soziale Leistung“ anerkannt werde, wo unterschiedliche Szenen miteinander auskommen.

Nehme man ihnen das Südufer, hätten sie keinen Platz mehr, befürchtet Sebastian K. Der Hirschauer Baggersee sei zu klein, der Nacktbadebereich im Tübinger Freibad unwirtlich (Pommes-Duft, hoher Bretterzaun, Nacktschwimmen nicht möglich), und in Gönningen dürfe nicht mehr nackt gebadet werden.

Eine öffentlichkeitswirksame Aktion der Nacktbadenden vom Südufer sei unwahrscheinlich, so der 47-Jährige. Sie seien wenig bereit dazu. Viele Schwule hätten „einfach noch Angst, auch heute noch“.

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Erstellt:
28.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 36sec
zuletzt aktualisiert: 28.09.2016, 01:00 Uhr

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Dodgersfan 01.10.201608:21 Uhr

Der Artikel scheint mir doch eine Reihe von impliziten Stereotypien zu bedienen.
Zunächst einmal: die Formulierung "bekennender Schwuler" ist eine leider immer wieder zu lesende aber wahrlich unglückliche. Das sehe nicht nur ich so sondern findet sich auch in einer Presseempfehlung, wie über Homosexuelle berichtet werden sollte:
"Man bekennt sich zu einer Straftat, zu einer Sünde oder einem Glauben. Homosexualität ist nichts davon, die Zeiten des § 175 StGB sind vorbei. Auch wenn das Wort Bekenntnis im allgemeinen Sprachgebrauch Weiterungen erfahren hat (u.a. „bekennender Fußballfan“), bleibt es doch ein unpassender Begriff."
Im Artikel scheint mir eher die Tatsache "bekennenswert" dass der Mann offen zugibt, dass er zu der Gruppe von Männern und Frauen zählt, die sich seit Jahrzehnten nackt an dem genannten Seeufer treffen, um sich kennenzulernen und auch potenziell sexuellen Kontakt miteinander haben. Das offen zuzugeben ist sicherlich weiterhin einem Bekenntnis gleichzusetzen.

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