Kommentar · Gendern

Ein Plädoyer gegen Striche, Sternchen und Knacklaute

Sabine Lohr über geschlechtergerechte Sprache.

27.01.2021

Von Sabine Lohr

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Abonnentinnen und Abonnenten, liebe Tübingerinnen und Tübinger, Mössingerinnen und Mössinger und alle anderen Kreisbewohnerinnen und Kreisbewohner, Sie sehen schon, diese Anreden sind umständlich, langweilig und kaum zu ertragen. Aber üblich .

Nach langen Jahren des vorrangig weiblichen Protests gegen das generische Maskulinum sind fast alle eingeknickt und sprechen stets Männer und Frauen getrennt an. Was nun für viele ein Problem ist. Denn bei der getrennten Anrede von Frauen und Männern werden alle anderen nicht genannt. Ja, alle anderen: die Diversen, also alle, die weder Mann noch Frau sind oder beides sind oder sich nicht als Mann oder Frau verstehen. Was also tun? Die Lösung ist an die 20 Jahre alt und ein Sternchen. Seither ist von Bäcker*innen und Lehrer*innen die Rede. Nein, eher die Schreibe. Denn in der Rede wird das Sternchen nicht ausgesprochen, sondern ist eine kleine Pause, gefolgt von einem Knacklaut.

In Tübinger Verwaltungsvorlagen wurden bisher sowohl Männer als auch Frauen gesondert angesprochen. In Zukunft soll ein Unterstrich die Diversen „mitmeinen“. Das freute die Grünen-Stadträtin Asli Kücük „ganz arg“, wie sie am Montag im Verwaltungsausschuss sagte. Sie hätte aber doch lieber ein Sternchen oder einen Doppelpunkt, weil sie „im Sprachfluss besser“ und außerdem „barrierefreier und inklusiver“ seien. Das fand die Gleichstellungsbeauftragte Luzia Köberlein auch, aber der Unterstrich habe sich in der Verwaltung schon durchgesetzt.

Beim Sprechen gibt es keinen Unterschied zwischen Sternchen, Unterstrich und Doppelpunkt: Es wird immer ein Knacklaut bleiben. Mal abgesehen davon, dass der nicht schön ist und sich Diverse nicht unbedingt durch einen Knacklaut oder durch irgendein Zeichen auf der Tastatur repräsentiert fühlen: Sowohl Sternchen als auch Unterstrich, Doppelpunkt und Schrägstrich mitten im Wort sind überflüssig, wenn man auf das zurückgreift, was die deutsche Sprache hergibt: das generische Maskulinum.

Liebe Leser, was tun Sie gerade? Lesen. Lesen ist ein Verb. Um ein Substantiv daraus zu machen, braucht es eine Endung, ein sogenanntes Substantivierungssuffix. Im Deutschen ist das die Endung „-er“. Die hat aber rein gar nicht mit dem Personalpronomen „er“ zu tun, sondern bezeichnet die Person, die das tut, was der Verbstamm sagt, also lesen. Beim generischen Maskulinum sind, wie der Professor für deutsche Sprache der Gegenwart Peter Eisenberg 2018 im „Tagesspiegel“ schrieb, „Frauen (. . .) gar nicht gemeint, ebenso wenig wie Männer oder Geschlechtsidentitäten jenseits der binären Norm. Darin liegt gerade das Spezifische des generischen Maskulinums.“

Generisch heißt in der Sprachwissenschaft eben nicht, dass ein bestimmter Sexus gemeint ist, sondern dass alle genannt werden, die etwas Bestimmtes tun: Leser lesen, Lehrer lehren, Faulenzer faulenzen. Das generische Maskulinum ist geschlechtergerecht, auch wenn viele ihm das absprechen.

Sprachlich noch hässlicher als die Sternchen und Striche aller Art ist übrigens das ebenfalls angeblich geschlechtergerechte Partizip: Die Lesenden, die Lehrenden, die Faulenzenden. Die Tübinger Verwaltung empfiehlt das Partizip. Oder den Unterstrich. Auf jeden Fall soll das generische Maskulinum vermieden werden. Mir graut es vor den Sitzungsvorlagen für die Gemeinderatenden.