Erderhebungen

Ein Musterprozess soll's richten

Der lange Streit um massive Gebäudeschäden in Böblingen mündet in eine Klage gegen den Versicherungskonzern Allianz. Es geht um Millionenbeträge.

15.10.2021

Von RAIMUND WEIBLE

Ein Archivild aus dem Jahr 2013 zeigt Risse in einem der betroffenen Wohnhäuser in Böblingen. Foto: Franziska Kraufmann/dpa

Ein Archivild aus dem Jahr 2013 zeigt Risse in einem der betroffenen Wohnhäuser in Böblingen. Foto: Franziska Kraufmann/dpa

Böblingen. Der Böblinger Landrat Roland Bernhard (Freie Wähler) gibt sich kämpferisch. „Der Landkreis ist bereit, Seite an Seite mit der Interessengemeinschaft zu kämpfen, damit die Schäden endlich ersetzt werden“, kündigte er an. Schon bisher unterstützte Bernhard mit Nachdruck die Bemühungen der Böblinger Bürger, deren Häuser durch Erdhebungen geschädigt worden sind. Ursache dafür waren fehlerhafte Bohrungen für Erdwärmesonden in den Jahren zwischen 2006 und 2008. Dadurch hob sich die Erde in Wohngebieten um bis zu einem halben Meter. An 200 Gebäuden entstanden Risse in den Wänden.

Lange war Bernhard zuversichtlich, dass der Versicherungskonzern Allianz zumindest für einen Großteil der Schäden aufkommt. Tatsächlich erklärte sich die Allianz bereit, fünf Millionen Euro für die Schäden im nördlichen Hebungsgebiet zu zahlen. Doch was das südliche Hebungsgebiet angeht, beißt die Interessengemeinschaft Erdbeben (IGE), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei der Allianz auf Granit. Deswegen kündigte die IGE vor kurzem an, den Klageweg zu beschreiten. Das Landgericht Stuttgart soll in einem Musterprozess klären, wie mit solchen Fällen juristisch umzugehen ist.

Pauschale Abfindung

Für das südliche Hebungsgebiet hatte die Allianz zunächst auch eine pauschale Abfindungssumme in Höhe von fünf Millionen Euro in Aussicht gestellt. Doch dann legte das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) in Freiburg einen Sachstandsbericht vor, in dem die Behörde von zwei verschiedenen Hebungsgebieten im Süden ausgeht. Das würde bedeuten, dass für jedes dieser beiden Hebungsgebiete eine Versicherungssumme von fünf Millionen fällig wird, eine Verdoppelung also.

Darauf wollte die Allianz nicht eingehen. Die Versicherung wehrte sich mit einem Privatgutachten gegen die 10-Millionen-Forderung. Dieses Gutachten geht von nur einem Hebungsgebiet aus. Also sollte es bei fünf Millionen Euro bleiben. Bernhard versuchte zu vermitteln, in Gesprächen schlug er eine einvernehmliche außergerichtliche Lösung vor. Damit scheiterte er ebenso wie die IGE mit ihrem Vorschlag, sich über ein Schiedsgutachten-Verfahren oder ein Schiedsgerichts-Verfahren zu einigen.

So sehen sich die Geschädigten gezwungen, den Klageweg zu beschreiten. Sie sind sich bewusst, dass ein langes Verfahren mit ungewissem Ausgang bevorsteht. Ihnen ist klar, mit der Allianz einen Konzern als Gegner zu haben, der finanziell in der Lage ist, durch alle Instanzen zu gehen. Und: Solange kein rechtskräftiges Urteil vorliegt, verzögert sich die Schadensabwicklung.

Das weiß auch der Landrat. Er sagte, er erwarte von einem solch namhaften Versicherungsunternehmen, dass es sich zeitnah für die Schadensregulierung einsetze. Es dürfe nicht die Situation entstehen, dass man das Ganze aussitze.

In die Kritik geriet die Allianz auch durch die Rücknahme ihrer Zusage, für die Hebungsgebiete jeweils eine Million Euro als verschuldensunabhängige Zusatzversicherung zu gewähren.

Früh wurde klar, dass die Allianz wegen der gedeckelten Versicherungssumme nur für einen Teil der Schäden aufkommt. Die IGE beklagte eine Deckungslücke von 2,8 Millionen Euro allein im nördlichen Hebungsgebiet. Um die Erstattungsquote für die privaten Hauseigentümer zu erhöhen, erklärten das Land und die Kommune, auf eine Erstattung der Sanierungskosten an ihren Liegenschaften zu verzichten.

Weitergehende Forderungen nach einem Landesfonds für die geschädigten Hauseigentümer lehnte die Landesregierung ab. Der damalige Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) argumentierte, eine staatliche Garantenstellung für solche handwerklichen Fehlleistungen hätten immense finanzielle Folgen für das Land und es entstünden Fehlanreize bezüglich der Absicherung über Versicherungen. Allerdings sind inzwischen neue Leitlinien zur Sicherung der Qualität von Erdsonden erlassen worden. Sie schließen eine Erhöhung der Haftpflichtsumme von fünf auf acht Millionen Euro pro Schadensgebiet mit ein.