Klimaschutz

Ein Booster für die Wende

Früheres Aus für die Kohle, dafür sehr viel mehr Wind- und Sonnenstrom: Die Ampel-Koalition will den?Umstieg auf Erneuerbare Energien in Deutschland beschleunigen.

26.11.2021

Von Igor Steinle

Windräder allerorten: Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren Energien beziehen.  Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Windräder allerorten: Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren Energien beziehen. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte sich die Koalition beim Thema Klimaschutz verhaken. So zumindest drang es aus den Gesprächen – ein Grünen-Politiker hatte sogar indirekt mit dem Abbruch der Verhandlungen gedroht. Dazu ist es nicht gekommen, im Gegenteil. Werden die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP formulierten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt, könnte die Energiewende in den kommenden Jahren einen immensen Schub erfahren.

War es bislang gesetzlich vereinbart, spätestens 2038 aus der klimaschädlichen Kohleverstromung auszusteigen, soll nun 2030 Schluss sein mit der Kohle. „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Idealerweise“ gelinge das schon bis 2030. Spätestens seitdem die Große Koalition die eigenen Klimaziele als Antwort auf den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichtes noch mal verschärft hat – Deutschland will schon 2045 klimaneutral werden –, war allen Experten klar, dass das mit einem Kohleausstieg 2038 nicht zu schaffen ist.

Das wusste auch Olaf Scholz, der sich diese Forderung in der Hoffnung auf Wählerstimmen aus den Revieren im Wahlkampf dennoch nicht zu eigen gemacht hat. Musste er auch nicht, waren sich Energieökonomen ja ohnehin weitestgehend einig, dass die Kohle schon weit vor dem angepeilten Ausstiegsdatum aufgrund steigender CO2-Preise unrentabel würde und Betreiber die Kraftwerke, sofern es die Versorgungssicherheit erlaubt, von alleine abschalten würden.

Genau diesen Mechanismus will nun auch die Ampel nutzen. So liegt der CO2-Preis im EU-Emissionshandel momentan bei knapp 75 Euro die Tonne. Allen Prognosen nach wird er langfristig nicht mehr großartig unter dieses Niveau fallen, sondern eher steigen. „Sollte die Entwicklung der nächsten Jahre anders verlaufen“, heißt es nun im Koalitionsvertrag, werde man über entsprechende „nationale Maßnahmen entscheiden“, damit der Preis nicht unter 60 Euro fällt.

Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen: Der Kohleausstieg soll schneller erfolgen.  Foto: Henning Kaiser/dpa

Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen: Der Kohleausstieg soll schneller erfolgen. Foto: Henning Kaiser/dpa

Damit die Lichter in Deutschland dennoch nicht ausgehen, sollen die Erneuerbaren Energien, vor allem Wind- und Sonnenstrom, massiv ausgebaut werden. Ihr Anteil am Stromverbrauch soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen, derzeit liegt er bei etwa 45 Prozent. Bisher lautete das Ziel 65 Prozent Ökostrom bis 2030. Zwei Prozent der Landesfläche sollen mit dem neuen Ziel für die Windkraft reserviert werden. Alle „geeigneten Dachflächen“ sollen für die Solarenergie genutzt werden – bei gewerblichen Neubauten verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es „die Regel“ werden, lautet die Formulierung.

Umsetzen muss dieses Mammutprojekt wohl der künftige Klimaminister Robert Habeck (Grüne) – auch gegen Widerstände aus der eigenen Klientel, verhindern ja nicht selten Naturschützer Windräder. Dies soll in Zukunft erschwert werden, indem Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, unter anderem indem sie zum „öffentlichen Interesse“ erklärt werden. Zudem sollen neue, moderne Gaskraftwerke gebaut werden, die langfristig auch mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden können.

Der Deutsche Naturschutzring, der Dachverband der deutschen Umweltverbände, stellt zu den Plänen fest: „Damit kann sich Deutschland in der Spitzengruppe des Klimaschutzes zurückmelden.“ Auch der Bund der deutschen Industrie äußerte sich hoffnungsvoll, dass mit den Ampel-Plänen sowohl die Strompreise sinken – Ökostrom soll mit der Abschaffung der EEG-Umlage 2023 nicht mehr über die Stromrechnung, sondern über den Bundeshaushalt finanziert werden – als auch die Versorgungssicherheit sichergestellt werden könnte. Unzufrieden sind hingegen die Grüne Jugend sowie Fridays for Future, denen das alles zu wenig radikal ist.

In den Kohlerevieren stoßen die Pläne auf wenig Gegenliebe. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, der frühere Kohleausstieg sei enttäuschend. „Das ist ein Signal an die Menschen, dass man Politik nur bedingt trauen kann.“ Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat als Voraussetzung für einen Kohleausstieg 2030 auf die Schaffung von Industriearbeitsplätzen hingewiesen.

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Erstellt:
26.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 51sec
zuletzt aktualisiert: 26.11.2021, 06:00 Uhr

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