Nationalmannschaft

Ein Befreiungsschlag

Das 4:2 gegen Titelverteidiger Portugal begeistert die Fans. Robin Gosens spielt ganz groß auf und trägt dazu bei, dass der DFB-Elf nach langer Zeit mal wieder die Herzen zufliegen.

21.06.2021

Von CARSTEN MUTH

Robin Gosens steigt hoch wie einst Nationalstürmer Karl-Heinz „Air“ Riedle und köpft das 4:1 gegen Portugal. Foto: Federico Gambarini

Robin Gosens steigt hoch wie einst Nationalstürmer Karl-Heinz „Air“ Riedle und köpft das 4:1 gegen Portugal. Foto: Federico Gambarini

München. Robin Gosens!! Robin Gosens!!! Als der linke Mittelfeldspieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ausgewechselt wurde, erhoben sich die meisten der gut 14?000 Fans in der Münchner EM-Arena von ihren Sitzen, klatschten in die Hände und riefen lautstark seinen Namen. Kurz zuvor hatte der 26-Jährige mit einem spektakulären Kopfball das 4:1 für die DFB-Auswahl gegen Portugal und damit die Vorentscheidung in einer sehenswerten Auseinandersetzung erzielt.

Die Uefa kürte Gosens nach dem Abpfiff zum „Star of the match“. Was nachvollziehbar war und so ganz nach dem Geschmack des begeisterten Publikums im Stadion. Denn Gosens war ohne Zweifel der herausragende Akteur einer überzeugenden deutschen Mannschaft, die mit dem 4:2 (2:1)-Erfolg im zweiten Gruppenspiel gegen den Titelverteidiger die Chancen auf den Einzug ins Achtelfinale deutlich erhöht hat. Ein Punkt am Mittwoch gegen Ungarn (21 Uhr/ZDF und MagentaTV) – und die DFB-Elf steht unter den letzten 16 Teams dieser Europameisterschaft.

Mit Leidenschaft, Einsatz und jeder Menge Spielfreude zwangen die Schützlinge von Bundestrainer Joachim Löw die hochgehandelten Portugiesen in die Knie. Sie steckten dabei auch zwei Rückschläge weg. Zunächst wurde ein ebenfalls spektakulärer Treffer von Gosens wegen Abseits nicht anerkannt, dann ging Portugal nach einem super Konter auch noch in Führung (15.).

Die Deutschen aber behielten Ruhe und Nerven, schlugen im Stil eines Klasseteams zurück. Worüber sich der Bundestrainer besonders freute. Joachim Löw betonte: „Wir haben viel Moral bewiesen und einen sehr guten Spirit gezeigt“. Zwei verunglückte Abwehraktionen der Portugiesen führten jeweils zu Eigentoren von Ruben Dias und Raphael Guerreiro (35. und 39.). Der formverbesserte Kai Havertz erhöhte auf 3:1 (51.). Gosens, der mit dem „rechten Läufer“ Joshua Kimmich eine starke Flügelzange bildete, ließ das vierte Tor folgen (60.). Diogo Jota gelang nach 67 Minuten noch der 2:4-Anschlusstreffer.

Der Sieg der DFB-Auswahl war verdient. Daran gab es keine Zweifel. Und doch: Auch diese Partie hätte noch kippen können, wenn der Ex-Bayern-Spieler Renato Sanches, der nach seiner Einwechslung an alter Wirkungsstätte mächtig aufdrehte, den Ball zehn Minuten vor dem Abpfiff nicht an den Pfosten gehämmert hätte, sondern zum 3:4 ins Tor.

Gosens war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgewechselt. Er genoss die Huldigungen in vollen Zügen, sprach von einem „unfassbaren Abend auf allen Ebenen“, der sich unwirklich anfühle.

Mit seinem Kopfballtor krönte der Mann von Atalanta Bergamo seine Leistung. Lange ist eine deutsche Mannschaft nicht mehr so gefeiert worden wie am Samstag. Was auch und vor allem an Robin Gosens lag, der die Zuschauer mit seiner willensstarken Spielweise mitriss. Auch dank Gosens hat die DFB-Elf zumindest wieder einen kleinen Teil jener Sympathien zurückgewonnen, die in den vergangenen Jahren verloren gegangen waren.

Dabei ist Gosens ein Spätzünder. Ein Spieler, den es heute nur noch selten im Profizirkus gibt. Eine DFB-Akademie oder ein Nachwuchsleistungszentrum hat der Linksfuß nie von innen gesehen. Der Rheinländer landete über den Umweg Niederlande in Italien und bei Atalanta Bergamo. Mit Atalanta mischt Gosens die Serie A auf, hat mit dem Klub zweimal hintereinander die Champions League erreicht.

Der 26-Jährige macht keinen Hehl daraus, wie stolz er ist, den Adler auf der Brust tragen und für die DFB-Auswahl spielen zu dürfen. Auch seine Interviews klingen längst nicht so geschliffen wie die seiner Mitspieler. Das kommt bei vielen Zuschauern an. Nach dem Portugal-Spiel plauderte er munter drauf los, sagte: „Wir haben uns gegenseitig gepusht, auch mal für eine defensive Grätsche. Das ist doch affengeil.“

Bundestrainer Joachim Löw durfte sich bestätigt fühlen. Er hielt trotz der Pleite gegen Frankreich zum Turnier-Auftakt an Personal und Grundsystem fest. Seine Spieler dankten es ihm. Kai Havertz etwa zeigte, welch großes Potenzial er hat. Der 22-Jährige blühte gegen Portugal auf. Das galt auch für den nimmermüden Serge Gnabry und den ohnehin präsenten Thomas Müller.

Keine Frage: Das 4:2 fühlte sich für die deutsche Elf wie ein Befreiungsschlag an. „Jetzt sind wir da“, schrieb Mats Hummels auf Instagram: „Was ein geiler Fußballabend.“ Thomas Müller befand: „Wir waren mutiger, kreativer und einfach besser.“

Entwarnung gibt es bei Hummels, Gündogan und Gosens, die wegen Knie-, Waden- und Adduktorenproblemen ausgewechselt wurden. Ihr Einsatz gegen Ungarn am Mittwoch scheint nicht in Gefahr. „Es ist nichts Dramatisches“, sagte Bundestrainer Löw. So richtig abschalten konnte der 61-Jährige offenbar auch einen Tag nach dem so wichtigen Erfolg gegen Portugal nicht. Löw sagte: „Man ist im Tunnel drin und hat keine Tage, bei denen man völlig runterfährt.“

Spielte schön und spektakulär: Mittelfeldmann Robin Gosens. Foto: Gladys Chai von der Laage via www.imago-images.de

Spielte schön und spektakulär: Mittelfeldmann Robin Gosens. Foto: Gladys Chai von der Laage via www.imago-images.de

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Erstellt:
21.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 21.06.2021, 06:00 Uhr

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