Über eine neue Briefmarke

Ehrenvoll für die Tafeln, beschämend für die Regierung

Renate Angstmann-Koch

07.02.2018

Von Das Bundesfinanzministerium brachte zu Monatsbeginn eine neue 70-Cent-Briefmarke heraus. Anlass war die Gründung des ersten Tafelladens in Deutschland vor 25 Jahren.

1993 hatte die Initiative Berliner Frauen damit begonnen, Arme zu unterstützen und gleichzeitig gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen.

Heute zählt der Dachverband der Tafeln 930 Mitglieder. Über 60 000 Ehrenamtliche sammeln im Handel und bei Herstellern überschüssige Lebensmittel ein und verteilen sie kostenlos oder gegen einen symbolischen Betrag an „sozial und wirtschaftlich benachteiligte Menschen“, so das Finanzministerium: „Durch die Möglichkeit, beim Einkauf zu sparen, schaffen die Tafeln 1,5 Millionen Bedürftigen einen bescheidenen finanziellen Spielraum.“

Auch in Tübingen gibt es eine Tafel. Der Trägerverein entstand 1998 aus der Initiative von drei
Kirchengemeinden heraus. Der
Lions-Club und private Spender gaben das nötige Startkapital.
1999 wurde der Tafelladen eröffnet. Damals wurden etwa 125 Bedürftige versorgt. Heute unterstützen die Ehrenamtlichen der
Tübinger Tafel eine vierstellige Zahl von Menschen. Seit 2005 ist ihr Laden in der Südstadt.

Keine Frage: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tafeln können stolz auf ihr Jubiläum sein. Viele Bedürftige verdanken ihnen, dass sie halbwegs über die Runden kommen. Ihre Arbeit ist aller Ehren wert. Doch für die Bundesregierung – in unterschiedlicher Konstellation stets von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen gestellt – gibt es nichts zu feiern. Für sie ist es ein Armutszeugnis, dass man Tafelläden braucht.

„In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder sind unmittelbar von ihr bedroht“, schreibt das Bundesfinanzministerium ungeniert im Internet, als handele es sich um das Normalste der Welt: „Vor allem Arbeitslose, Geringverdiener, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Senioren. Wenn das Geld knapp wird, sparen die meisten bei der Ernährung – zu Lasten ihrer Gesundheit.“

13 Millionen arme und von Armut bedrohte Menschen in einem der reichsten Länder der Erde, in dem die Steuereinnahmen sprudeln – obwohl es keine Vermögenssteuer gibt, eine eher bescheidene Erbschaftssteuer und eine Kapitalertragssteuer von nur 25 Prozent. In einem Land, in dem nach Angaben der Entwicklungsorganisation Oxfam die 40 reichsten Personen ebenso viel Vermögen haben wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Da hat eine offizielle Briefmarke zu Ehren der Tafeln einen mehr als bitteren Beigeschmack.

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Erstellt:
07.02.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 02sec
zuletzt aktualisiert: 07.02.2018, 01:00 Uhr

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