Echos d’Istanbul

Echos d’Istanbul

„Echos d’Istanbul“ zeigt eine durch Gentrifizierung aussterbende Kultur.

03.11.2017

Von pme

Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat die kanadische Dokumentarfilmerin Giulia Frati Straßenhändler in Istanbul begleitet. Im gleichen Zeitraum führte die Regierung dort eine gigantische Gentrifizierung durch, ganze Stadtteile wurden abgerissen und mit neuen Mietwohnungen vollgepflastert, die alten Bewohner verschwanden. Und die Händler fanden sich plötzlich in einem falschen Element wieder, wie Fische an der Luft.

Dramatisch gesprochen wohnen wir also einem Todeskampf bei. Giulia Frati macht daraus eine Liebeserklärung, eine hochpolitische noch dazu. Denn genau diese Politik war es, die letztlich zu den Ausschreitungen im Gezipark und auf dem Taksimplatz führte, auch hier filmte Frati. Doch wuchert sie quantitativ nicht mit ihrem Revolutionspfund, vielmehr geht es ihr um das Verschwinden alten Handwerks, einer anderen, früheren Berufsausübung und Lebensform, die die beiden konträren menschlichen Urtriebe Verwurzelung und Nomadentum vereinigt – wohingegen wir heutigen Clients nicht mehr umherziehen, aber trotzdem nirgendwo wirklich zuhause sind.

Hier aber sind wir beim Korbmacher zuhause, ziehen mit dem alten, zahnlosen Bäcker los, begleiten ihn auch auf seinem fassungslosen Gang durch das neue Stadtviertel, wir gehen mit dem Polsterer auf Tour, wir sehen den Muschelverkäufer, die Kinder bekommen gratis eine Muschel in den Mund. Er kenne jedes Kind in seinem Viertel, sagt er. In der nächsten Szene sehen wir die Gendarmerie, wie sie auf einem nicht erlaubten Markt Ware beschlagnahmt, später rückt eine Phalanx von Polizeiwagen zum Gezipark vor.

Was der Film mit Frankreich zu tun hat, außer dass er von einer französischsprachigen Kanadierin gedreht wurde? Nichts. Oder alles. Solange Frankreich von dieser Welt ist. Denn von ihr erzählen die Klänge Istanbuls auf wunderbar leichte, traurige und alltagsgetränkte Weise. (Mit englischen Untertiteln, im Arsenal heute um 22.30 Uhr und am Dienstag um 16 Uhr, im Atelier morgen um 16 Uhr.)