Reutlinger „Glaswerk“

Durchblick in den Kirchen

Das Reutlinger „Glaswerk“ von Udo Bethke hat schon viele Bleiglas-Fenster in Gotteshäusern geplant, gefertigt oder erneuert. Doch die Schwerpunkte des 1993 gegründeten Unternehmens verlagern sich zunehmend auf herkömmliche Glaser-Arbeiten. Der Firmengründer berichtet über den Wandel in der Branche.

20.12.2022

Von Matthias Reichert

Die Reutlinger Kunstglaser Udo Bethke und Bettina Drees erneuern die Wannweiler Johanneskirchenfenster. Bild: Horst Haas

Die Reutlinger Kunstglaser Udo Bethke und Bettina Drees erneuern die Wannweiler Johanneskirchenfenster. Bild: Horst Haas

Aus rund 1500 einzelnen Glasstücken und bleiernen „H-Profilen“ hat Kunstglaserin Bettina Drees die mehr als hundert Jahre alten Bleiglasfenster der Wannweiler Johanneskirche weitgehend neu zusammengesetzt. Zehn davon waren an der Nordfassade beim Hagel im Juni 2021 erheblich beschädigt worden. Solche Erneuerungen historischer Kirchenfenster führt das Reutlinger „Glaswerk“ von Udo Bethke immer wieder durch.

Als Bethke und Drees in den 1980er Jahren mit dem Handwerk anfingen, wurden immer wieder auch neue Kirchen mit Bleiglasfenstern ausgestattet. Inzwischen sind solche Aufträge seltener geworden, sagt Bethke. Es werden kaum noch neue Gotteshäuser gebaut, nicht zuletzt wegen sinkender Mitgliederzahlen der Kirchen, außerdem hat sich der zeitgenössische Geschmack geändert. Entsprechend sind Bethke und seine drei Beschäftigten vor allem mit Sanierungen beschäftigt. Nach dem Hagelsturm 2013 hat es viele Aufträge von Privatleuten in der Reutlinger Oststadt gegeben, die ihre hundert Jahre alten Bleiglasfenster reparieren ließen. Zeit Ihres Bestehens hat die Firma neben ihrer Kunstglaser-Tätigkeit auch herkömmliche Glaser-Arbeiten übernommen.

Der 1958 in Köln geborene Bethke, der seit 1968 in Reutlingen lebt, hat seine Ausbildung und Gesellenzeit als Kunstglaser in Trier absolviert. Danach arbeitete er ein Jahr in Wiesbaden bei der renommierten Firma Derix, die auch international unterwegs ist. Ein weiteres Jahr war Bethke bei der Stuttgarter Kunstglaserei Gaiser und Fieber beschäftigt.

Nach der Meisterschule im hessischen Hadamar legte er 1992 die Meisterprüfung ab und machte sich 1993 in Reutlingen selbstständig – zunächst im Nebenerwerb. Bethke war damals bei der Firma Hack in Weilheim/Teck angestellt und bearbeitete parallel eigene Aufträge in einem angemieteten Werkstattraum bei der Glaserei Gutekunst in der Hauffstraße. Beide Firmen hätten ihn in der Anfangszeit sehr unterstützt, lobt der Kunstglaser. Dann hätten sich die eigenen Aufträge immer mehr ausgewachsen. Seit 1998 ist Bethke zu hundert Prozent selbstständig.

Anfangs gestaltete er hauptsächlich Kirchenfenster und Bleiverglasungen für Privathäuser. Unter anderem entwarf und fertigte Bethkes „Glaswerk“ Ende der 1990er Jahre die Fenster für die neue Kirche der Freien evangelischen Gemeinde in Pfullingen. In den ersten Berufsjahren müsse man schauen, dass man solche Chancen nütze, um Referenzobjekte vorweisen zu können, sagt der Kunstglaser. Einen weiteren Eigen-Entwurf realisierte er beim Umbau der evangelischen Kirche im hessischen Jügesheim. Solche Aufträge von A bis Z zu planen und umzusetzen, sei eher selten. Denn gewöhnlich arbeiten die Kirche für die Fensterentwürfe mit Künstlerinnen oder Künstlern zusammen. „Aber ein bisschen Talent dafür habe ich auch“, sagt Bethke schmunzelnd.

In Aalen-Unterrombach gestaltete das „Glaswerk“ Anfang der 2000er Jahre die neue Betonverglasung der evangelischen Kirche nach Vorgaben eines Künstlers. Zuletzt hat die Reutlinger Firma im fränkischen Ansbach die Fenster im neuen „Raum der Stille“ der Palliativstation des dortigen Krankenhauses geplant und gefertigt. Aufträge für neue Kirchenfenster sind selten geworden. „Wir machen hauptsächlich Reparaturen und Bestandspflege“, sagt Bethke. Denn die historischen Fenster kommen in die Jahre, verlieren ihre „Verkittung“, haben Blei- oder Glasschäden. „Und dann muss man das reparieren, nachkitten, stabilisieren.“ An der Reutlinger Marienkirche kam das „Glaswerk“ in den vergangenen Jahren so „fast einmal rundherum mit Reparaturen“ – immer dann, wenn dort ohnehin ein Gerüst aufgebaut werden musste.

Bethke und seine Beschäftigten sind in vielen Kirchen im Raum Tübingen, Reutlingen und auf der Schwäbischen Alb mit Sanierungen beschäftigt, unter anderem im Kloster Zwiefalten und in der Bad Uracher Amanduskirche. Demnächst erneuert die Firma auch die historischen Bleiverglasungen in Schloss Lichtenstein am Albtrauf. Deren Glasmalereien seien kunstgeschichtlich bedeutsam, ordnet der Kunstglaser ein.

Solche Spezialisierungen sind in der Branche eher selten. Doch die Kirchen-Aufträge reichen heute nicht aus, um sich zu halten. Das „Glaswerk“ übernimmt deshalb schon lange auch herkömmliche Glaser-Arbeiten, etwa für Schaufenster oder in Parkhäusern. Zudem fertigt die Firma Duschen, Spiegel, gläserne Raumabtrennungen oder Ganzglas-Türanlagen für Privatleute. Nur Fensterrahmen baut das Unternehmen nicht. Dafür bräuchte es spezielle Maschinen für die Holz- und Kunststoffbearbeitung, sagt Bethke. Als reine Glaserei sei die Firma in der Reutlinger Mittnachtstraße „ein ziemliches Unikum“. Neue Bleiverglasungen indes werden nur noch selten gewünscht: „Das sind Projekte mit Jahrzehnten Lebensdauer“, sagt der Kunstglaser.