Weiteres Urteil im Ducato-Verfahren

Sechs Jahre Haft für den Hehler

Weil er vier Männer zum Klauen schickte und ihnen anschließend die Beute abkaufte, muss ein 51-jähriger Drahtzieher der Ducato-Bande lange ins Gefängnis.

15.11.2017

Von Jonas Bleeser

Symbolbild: Sommer

Symbolbild: Sommer

Nachdem Anklage und Verteidigung ihre Plädoyers gehalten hatten, wurde es am Mittwochvormittag laut im Gerichtssaal: Die Frau des Angeklagten brach schreiend zusammen. Verwandte begleiteten sie hinaus, Justizbeamte riefen einen Arzt. Mehrere erwachsene Kinder des Mannes brachen in Tränen aus.

Auslöser der heftigen Reaktion war der Strafantrag der Staatsanwaltschaft gewesen: Sie hatte wegen 18 Fällen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei sieben Jahre Haft für den achtfachen Familienvater gefordert. Die Ankläger sind sicher: Der 51-Jährige organisierte eine Serie von Einbrüchen in Schuppen und Wertstoffhöfe – und kaufte den eigens dafür angeheuerten Dieben anschließend die gestohlenen Kabel, Metall, Altbatterien und Werkzeuge ab. „Er hat sich Leute gesucht, die die Drecksarbeit machen“, sagte Staatsanwältin Michaela Nörr, „er ist der Bandenchef, wie er im Buche steht.“

Die vier Seriendiebe, die zuvor Fahrräder für Verwandte des Mannes gestohlen haben sollen, warb er ab, damit sie von da an für ihn klauten. Einmal habe er noch 30 Räder abgenommen, dann verlegten sich die Diebe auf Einbrüche. Als Schrotthändler habe er sehr genau gewusst, wo auf den Wertstoffhöfen der Region etwas zu holen gewesen sei, führte Staatsanwalt Nicolaus Wegele aus: „Er schädigte nachts die Betriebe, mit denen er tagsüber Geschäfte machte.“ Die Polizei habe hervorragende Ermittlungsarbeit geleistet: So zeigten die Standortdaten der Telefonüberwachung, dass die Auftragseinbrecher vor den Taten manchmal das nötige Werkzeug in der Firma des 51-Jährigen abholten. Später in der Nacht kehrten sie dann zurück, worauf der Angeklagte ihnen die Beute abkaufte.

Das ließ sich auch belegen, weil der Mann sein Gelände mit Kameras überwachte: Ein wahres Geschenk an die Ermittler, die nun uhrzeitgenau mit Videoaufnahmen die Übergaben mit den Einbrüchen abgleichen konnten. Den Abnahmepreis handelten Hehler und Diebe einmal während des Einbruchs per Handy aus. Außerdem habe der Angeklagte die Diebe mehrfach zum ausbaldowern vorab zu den Tatorten kutschiert. So sei mindestens ein Diebstahlsschaden von 49000 Euro entstanden, dazu noch Einbruchsschäden von 8500 Euro. Entsprechend forderte die Anklage, Vermögen in dieser Höhe einzuziehen, dazu noch zwei Lieferwagen und Schrott im Wert von 15000 Euro.

Verteidiger Hans-Christoph Geprägs beantragte eine Haftstrafe deutlich unter der Forderung der Anklage. Der psychiatrische Gutachter habe zwar keine Schuldunfähigkeit seines Mandanten festgestellt, wohl aber gesundheitliche Probleme und eine psychische Erkrankung. Die mache es dem Schrotthändler offenbar unmöglich, das Verfahren realistisch einzuschätzen: In mehr als acht Stunden Gesprächen sei er als Verteidiger nicht wirklich zu ihm durchgedrungen. Der Angeklagte leide extrem an der Trennung von seiner Familie. Und er sei keineswegs „der gewiefte Chef der ganzen Gesellschaft“.

Für den hielt ihn auch die Kammer nicht – schon wegen der unfreiwilligen Selbstüberwachung per Video. Auch erkannte sie eine besondere Haftempfindlichkeit bei dem Familienoberhaupt. Aber sie bescheinigte dem 51-Jährigen hohe kriminelle Energie. Er habe eben nicht arglos Waren von den Dieben gekauft: „Sie waren es, der von den Taten wusste, der Tipps gab, der motivierte“, so der Vorsitzende. Besonders schwerwiegend sei, dass der Mann einen seiner Söhne mit hineinzog, dem nun ebenfalls eine Verurteilung droht.

Die Richter verhängten sechs Jahre Haft, außerdem zogen sie Vermögen in Höhe von 45000 Euro und drei Autos ein. Angesichts der lautstarken Szenen im Gerichtssaal stellte der Vorsitzende fest: „Sie haben großes Leid über Ihre Familie gebracht – nicht die Polizei, nicht die Justiz: Das waren Sie.“

Das Verfahren gegen die Ducato-Bande

Hunderte von Fahrraddiebstählen und etwa 100 Einbrüche legen die Ermittler der so genannten Ducato-Bande zur Last. Sie heißt so, weil die Polizei ihr auf die Spur kam, nachdem ein Fiat Ducato voller Diebesgut gestoppt worden war. Seit 2015 stahlen vier Asylbewerber aus Bosnien und Serbien massenhaft Fahrräder in Tübingen. Die übergaben sie an Angehörige einer bosnischen Familie, die die Beute in Tuzla in Bosnien weiterverkauft haben sollen. Später verlegten sich die Diebe auf Einbrüche in Schuppen und Schrottplätze. Außerdem waren sie für ein Feuer mit hohem Schaden in einer Hagellocher Maschinenhalle verantwortlich. Alle vier waren geständig und erhielten mehrere Jahre Haft.

Ursprünglich waren neun Männer angeklagt. Wegen scharfer Sicherheitsvorkehrungen nach Drohungen gegen die geständigen Diebe wurde zunächst in Stuttgart-Stammheim verhandelt. Mittlerweile ist das Verfahren aufgetrennt worden. Es laufen noch zwei längere Prozesse gegen vier Familienmitglieder wegen Hehlerei.

Weil zwei Angeklagte zur Tatzeit unter 21 Jahre alt waren, wird vor der großen Jugendkammer verhandelt. Bei den beiden entscheiden die Richter, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird. Bei den anderen Angeklagten gilt Erwachsenenstrafrecht.

Zum Dossier: Die Ducatobande

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Erstellt:
15.11.2017, 20:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 15.11.2017, 20:00 Uhr

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