Tübingen

Lage am Uniklinikum: Die zweite Corona-Welle ist ganz anders

Am Tübinger Universitätsklinikum gibt es weniger Covid-Patienten als im Frühjahr 2020, und sie haben bessere Chancen zu überleben.

21.01.2021

Von Ulrich Janßen

In Schutzkleidung konnte unser Fotograf Ulrich Metz einen Blick in die Intensivstation für Covid-19-Erkrankte werfen. Er traf auf konzentriert arbeitende, aber auch sehr freundliche und ruhige Ärzte und Pfleger/innen. In der Regel ist die Aufenthaltszeit auf der Intensivstation nur kurz. Covid-Erkrankte aber bleiben viel länger, drei Wochen sind normal. Ein Patient kämpft seit 70 Tagen um sein Leben. Bild: Ulrich Metz

In Schutzkleidung konnte unser Fotograf Ulrich Metz einen Blick in die Intensivstation für Covid-19-Erkrankte werfen. Er traf auf konzentriert arbeitende, aber auch sehr freundliche und ruhige Ärzte und Pfleger/innen. In der Regel ist die Aufenthaltszeit auf der Intensivstation nur kurz. Covid-Erkrankte aber bleiben viel länger, drei Wochen sind normal. Ein Patient kämpft seit 70 Tagen um sein Leben. Bild: Ulrich Metz

In der ersten Corona-Welle zählte das Tübinger Universitätsklinikum zu den drei von der Pandemie am stärksten belasteten Kliniken in Deutschland. Das ist jetzt in der zweiten Welle, obwohl die Zahl der Infizierten und Toten deutlich höher ist als im März, ganz anders. Von einer „völligen Umkehrung der Verhältnisse“ spricht Klinikumschef Michael Bamberg im Gespräch mit dem TAGBLATT: Während damals die westdeutschen Kliniken mit hohen Patientenzahlen zu kämpfen hatten, sind es jetzt vor allem die ostdeutschen. In Tübingen sei die Lage deutlich entspannter als im Vorjahr, was auch mit den Anstrengungen zum Schutz der Alten zusammenhängen könne. Aktuell werden 30 Covid-Kranke behandelt, von denen 15 auf der Intensivstation beatmet werden, im Frühjahr 2020 waren es bis zu 40 gleichzeitig.

Immer öfter gelingt es den Ärzten inzwischen, die Patienten so früh zu stabilisieren, dass die Beatmung nicht mehr nötig ist. Außer Cortison verabreichen die Ärzte vor allem Remdesivir, ein ursprünglich für Ebola entwickeltes Medikament, das zuletzt in die Kritik geraten war, weil es die Virenvermehrung nicht dauerhaft stoppe. „Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass es hilft“, sagt Intensivmedizinerin Helene Häberle. Die Leitende Oberärztin hat selbst über Viren geforscht und findet: „Wir haben viel dazu gelernt.“

Besonders gefährlich an Covid ist außer dem Sauerstoffmangel die Neigung zu hartnäckigen Blutgerinnseln. Hier setzen die UKT-Mediziner laut Häberle vor allem auf das Medikament „Defribotide“. Anders als klassische Blutverdünner wie Marcumar sei dieses in Tübingen erstmals bei Corona eingesetzte Mittel in der Lage, die häufig sehr fest sitzenden Blutklumpen in den Gefäßen zu beseitigen: „Die kann man sonst nicht auflösen, weil die in den Gefäßen sitzen, wie Beton in einem Rohr.“

Das Durchschnittsalter der Patienten liegt derzeit bei 70 Jahren: „Die Altersspanne reicht aber von 24 bis 92 Jahren“, sagt Häberle. Weil an einer Uniklinik vor allem schwere Fälle behandelt werden, ist das Durchschnittsalter niedriger als anderswo. Auch die an Covid verstorbenen Patienten sind im Schnitt erst 70 Jahre alt.

Etwa drei Wochen dauert die Beatmung eines Covid-Patienten im Schnitt. Eine lange Zeit, die für Kranke und Angehörige sehr belastend ist und hohe Kosten verursacht. Bis zu 100 000 Euro können anfallen, von denen die Krankenkassen nur 32 000 Euro übernehmen, weshalb das UKT auf den Rettungsschirm des Landes angewiesen ist. Weil der laut Bamberg großzügig ausfiel, kann sich Tübingen leisten, alles für die Patienten zu tun. „Vom medizinischen Standpunkt her ist das schon Luxus“, sagt Häberle. Man biete stets „die maximale Therapie“.

Dennoch sterben immer noch knapp ein Drittel aller beatmeten Patienten. Doch auch das sind weniger als bei der ersten Welle, als 38 Prozent der Patienten die aufwändige Beatmung nicht überlebten. Bundesweit waren es damals sogar bis zu 50 Prozent, sagt Bamberg. Er lobt das „toll eingespielte Team“ in der Intensivstation.

Corona: Ein Blick auf die Intensivstation des UKT

In Schutzkleidung konnte unser Fotograf Ulrich Metz einen Blick in die Intensivstation für Covid-19-Erkrankte werfen. Er traf auf konzentriert arbeitende, aber auch sehr freundliche und ruhige Ärzte und Pfleger/innen. In der Regel ist die Aufenthaltszeit auf der Intensivstation nur kurz. Covid-Erkrankte aber bleiben viel länger, drei Wochen sind normal. Ein Patient kämpft seit 70 Tagen um sein Leben.
In der ersten Corona-Welle zählte das Tübinger Universitätsklinikum zu den drei,...
In der ersten Corona-Welle zählte das Tübinger Universitätsklinikum zu den drei, von der Pandemie am stärksten belasteten Kliniken in Deutschland. Das ist jetzt in der zweiten Welle, obwohl die Zahl der Infizierten und Toten deutlich höher ist als im März, ganz anders. Bild: Ulrich Metz

© ST

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Großen Anteil an der Versorgung haben die Pflegekräfte. Sie seien, meint Michael Schlotterer, der Leiter des Pflegebereichs in der Intensivmedizin, bei der ersten Welle zum Teil „wahnsinnig euphorisiert“ gewesen. Viele hätten sich aus anderen Abteilungen freiwillig gemeldet, etliche Mitarbeiter/innen stockten sogar ihre Arbeitszeit auf. Mittlerweile hätten alle erkannt, dass „aus dem Spurt ein Marathon“ geworden sei, eine „gewisse Müdigkeit“ sei die Folge.

Die Versorgung der Covid-Kranken auf der Intensivstation sei physisch, aber auch psychisch anstrengend. Die Patienten müssten sehr lange auf der Station bleiben, so fehlten die schnellen Erfolge, die sonst die harte Arbeit im Intensivbereich erleichtern. Bitter sei auch, dass viele Kranke, weil die Angehörigen nicht kommen können, am Ende allein sterben müssen: „Das ist auch für uns sehr belastend.“ 148 Pflegekräfte zählen aktuell zum Team der Intensivmedizin.

Einig sind sich Schlotterer, Häberle und Bamberg, dass das Klinikum auf die zweite Welle viel besser vorbereitet war als auf die erste. Die Abstands- und Hygiene seien strenger, ebenso die Einlasskontrollen, und alles werde zudem regelmäßig kontrolliert. Krankenbesuche sind nur in Ausnahmefällen erlaubt, alle sieben Tage werden die Mitarbeiter getestet, selbst das An- und Ausziehen der Schutzkleidung werde sorgfältig eingeübt und gegenseitig kontrolliert, um Ansteckungen zu vermeiden. Bislang mit Erfolg: „Von den gut 10 000 Klinikmitarbeitern haben sich bislang nur 135 infiziert.“ Und die hätten sich bis auf wenige Ausnahmen jenseits der Klinik angesteckt. Auch vor den neuen Mutationen habe man deshalb keine Angst: „Unsere Sicherheitsmaßnahmen sind sehr gut, wir müssen im Moment nichts ändern.“ Dennoch beobachte man die Lage aufmerksam. „Bei sehr hoher Viruslast eines Patienten screenen wir, ob es sich um eine Mutation handelt.“ Hilfreich sei auch das neue klinikeigene und mittlerweile preisgekrönte „Social Intranet“. Wenn es Neuigkeiten oder neue Bestimmungen gibt, erfahren die Mitarbeiter dies inzwischen per Push-Meldung auf dem Handy.

Im Intranet wurde auch zur Grippe-Impfung aufgerufen. 3000 statt sonst 1800 Mitarbeiter ließen sich in diesem Jahr impfen. „So viel haben wir noch nie gehabt“, freut sich Bamberg und betont, dass es im UKT-Personal auch vor der Corona-Impfung keine besonderen Ängste gebe. Die Grippe ist übrigens in diesem Jahr kein großes Thema: Wegen der Masken und Abstandsregeln erkranken deutlich weniger Menschen als sonst. „Die Einführung der Masken führte schon im vergangenen Jahr schlagartig zu einem dramatischen Rückgang der Grippekranken“, erinnert sich der Klinikumschef.

Aufschieben von Arztbesuch kann lebensgefährlich sein

Ganz wichtig ist den Medizinern am UKT, dass Menschen nicht aus Angst vor Corona auf einen Arztbesuch oder einen Vorsorgetermin verzichten und die Operation dann womöglich zu spät kommt. „Es tut mir in der Seele weh“, sagt Oberärztin Helene Häberle, „wenn ich eine Patientin mit einem metastasierten Krebs sehe, den man zwei Wochen früher viel besser hätte operieren können.“ Angst vor einer Ansteckung brauche wegen der hohen Sicherheitsmaßnahmen im Uniklinikum niemand zu haben. Die Covid-Stationen seien von den anderen Bereichen räumlich klar getrennt, auch das Pflegepersonal werde, versichert Intensiv-Pflegebereichsleiter Michael Schlotterer, so eingeteilt, dass es „innerhalb der Schicht keine Vermischung gibt“. Das Aufschieben von Operationen führe leider auch dazu, dass es irgendwann „einen Rückstau geben wird, den wir dann aufholen müssen“ – mit entsprechend längeren Wartezeiten. Zur Zeit würden etwa 60 Prozent der sonst üblichen Operationen ausgeführt.

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Erstellt:
21.01.2021, 19:38 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 10sec
zuletzt aktualisiert: 21.01.2021, 19:38 Uhr

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