Ulrich Janßen über Journalisten und Autos

Die zwei Gesichter des Französischen Viertels

Was haben diese linken Journalisten nur gegen das Tübinger Französische Viertel? Vor sechs Jahren war es Markus Feldenkirchen, der das Quartier zwischen Schindhau und B 28 im „Spiegel“ als „grüne Hölle“ bezeichnete. Und jetzt ist es Thorsten Schmitz, ein ehemaliger taz-Reporter, der in der „Süddeutschen“ den Viertelbewohnern auf einer ganzen Seite Doppelmoral unterstellt.

04.09.2017

Von Ulrich Janßen

„Bis 1991 waren französische Soldaten hier stationiert“, schreibt er. Heute lebten in dem Areal „sehr gut verdienende Akademiker und Beamte“ in 140-Quadratmeterwohnungen: „Sie alle haben einen gemeinsamen Feind: das Auto.“

Bei so einem Satz weiß man gleich, wie es weitergehen wird mit dem Artikel. Der Autor stellt bald fest, dass es auch im Französischen Viertel noch Autos gibt und dass die auch mal gefahren werden. Sogar Autoliebhaber wohnen hier, die Porsches besitzen, alte Bullys restaurieren lassen und ihre Winterreifen selbst montieren.

Was für eine Entdeckung! Sie reicht dem Autor tatsächlich, um dem Viertel insgesamt Doppelmoral zu unterstellen. „Die Leute hier“, lässt Schmitz den Automechaniker Jamshed Omari sagen, „haben zwei Gesichter.“ Sie wählen Grün, machen Rebirthing-Kurse im Shunya-Zentrum und fahren benzinfressende Range Rover.

Ich selbst wohne seit vielen Jahren im Viertel, fahre einen Hyundai und kenne keinen einzigen Range Rover-Fahrer. Aber es kann schon sein, dass es irgendwo einen gibt, das will ich nicht ausschließen. Ausschließen kann ich aber, und zwar entschieden, dass ich das Auto jemals als meinen Feind bezeichnet habe. Ich habe nichts gegen Autos, fahre manchmal sogar richtig gern damit rum. Allerdings denke ich, dass man auf Dauer mehr tun muss gegen die Staus und die Umweltverschutzung, die sie verursachen.

Ich kenne etliche Leute im Viertel, die es ähnlich sehen. Sie brauchen ab und zu Autos, aber sind auch ganz froh darüber, dass im Viertel nicht so viel Verkehr ist und nicht alle Straßen zugeparkt sind. Aber ihr „Feind“ ist das Auto definitiv nicht.

Warum wird uns Viertel-Bewohnern so oft unterstellt, dass wir so moralisch seien? Dass wir solche Besserwisser sind? Als wollten wir anderen Leuten (und speziell Reportern von auswärts) ihre Autos wegnehmen und ihr Schweineschnitzel gleich mit.

Dabei wollen wir das gar nicht, jedenfalls die allermeisten von uns wollen es nicht. Ihr müsst keine Angst haben. Wir tun Euch nichts. Wir sind nämlich ziemlich normal. Wir wollten auch gar kein „Utopia“, wie uns die „Süddeutsche“ unterstellt, sondern nur einigermaßen günstigen Wohnraum in einer Umgebung mit halbwegs netten Leuten. Nicht alle sind nett, räume ich ja ein, manche machen Stress, aber mit den meisten kommt man ganz gut aus.

Offenbar aber braucht man uns als Moralapostel. Warum nur? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass die Feldenkirchens oder Schmitzens selbst zu „sehr gut verdienenden Akademikern“ geworden sind? Mit großen Autos und großen Wohnungen? Größeren womöglich als im Viertel?