Pandemie

„Die vierte Welle kommt“

Die Corona-Zahlen im Land steigen wieder deutlich schneller, die Kliniken sind noch vorsichtig optimistisch. Eine Übersicht der Lage in Baden-Württemberg.

27.08.2021

Von DAVID NAU

Auf den Intensivstationen im Land machen sich die steigenden Zahlen noch nicht allzu stark bemerkbar. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Auf den Intensivstationen im Land machen sich die steigenden Zahlen noch nicht allzu stark bemerkbar. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Stuttgart/Freiburg/Ludwigsburg. Während in Baden-Württemberg noch immer Schulferien sind und viele Menschen an Urlaub denken, rollt auf das Land eine neue Corona-Welle zu. Die Infektionszahlen im Südwesten steigen seit einiger Zeit wieder an, zuletzt sogar deutlich. Am Donnerstag lag die 7-Tage-Inzidenz bei 68,1 Neuinfektionen pro 100?000 Einwohnern – und hat sich damit binnen zwei Wochen knapp verdreifacht. Auf vermehrtes Testen lässt sich dieser Anstieg nicht zurückführen, die Zahl der wöchentlichen PCR-Tests ist grob stabil, deutlich gestiegen ist dagegen die Quote der Tests, die positiv ausfallen.

Große Auswirkungen auf das Alltagsleben hat die steigende Inzidenz bislang noch keine, für das Land ist inzwischen die Belegung der Intensivstationen mit Covid-19-Patienten der Leitwert, teilt das Sozialministerium mit. Künftig werde es Warn- und Alarmwerte geben, bei denen eingegriffen wird, teilt ein Sprecher mit. „Damit eingegriffen wird, müssen solche Werte zuvor eine gewisse Zeit stabil hoch geblieben sein“, heißt es. Dazu gebe es aber gerade „intensive Gespräche zwischen Bund und Ländern“.

Alte inzwischen gut geschützt

Die Landesregierung bereite bereits jetzt eine entsprechende Verordnung vor. „Diese wird insbesondere Restriktionen für Ungeimpfte beinhalten“, heißt es. Auch werden die Einschränkungen dann flächendeckend in ganz Baden-Württemberg gelten und nicht nur in einzelnen Stadt- und Landkreisen.

Auf den Intensivstationen im Land macht sich der Anstieg der Fallzahlen bereits bemerkbar, kritisch ist die Lage aber noch nicht. Am Klinikum Stuttgart werden aktuell vier Covid-Patienten auf der Intensivstation behandelt, neun liegen noch auf Normalstation. Vor einem Monat hatte es gar keine Covid-Patienten mehr gegeben, teilt Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand des Klinikums mit. „Wir sind sehr aufmerksam, aber optimistisch“, sagt Jürgensen. Die Alten seien Dank der Impfung inzwischen sehr gut geschützt, am Klinikum Stuttgart gebe es bislang keine Geimpften mit schweren Verläufen. Auf der Intensivstation liegen vor allem jüngere und ungeimpfte Personen. Er rechnet aber mit einer höheren emotionalen Belastung für das Personal auf den Intensivstationen. „Die Patienten sind dann häufiger im gleichen Alter, könnten also auch Partner oder Geschwister der Mitarbeiter sein“, sagt Jürgensen.

Diese Beobachtung teilt auch Götz Geldner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie der RKH-Gruppe mit Sitz in Ludwigsburg. „Die vierte Welle wird kommen“, sagt der Mediziner, der auch Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten ist. Entscheidend sei jedoch, wie hoch die Welle werde. „Ich gehe davon aus, dass der Höhepunkt in etwa bei der Hälfte der Wellen zwei und drei sein wird“, sagt Geldner. Ein Grund dafür sei die steigende Impfquote.

Die Landesregierung geht davon aus, dass bis in zwei Wochen rund 300 Covid-Patienten auf den Intensivstationen im Land liegen werden. Das geht aus dem Lagebericht des Landesgesundheitsamts hervor. Aktuell sind es 99 Patienten. Auf dem Höhepunkt der dritten Corona-Welle Anfang Mai lagen rund 620 Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen im Land.

Götz Geldner betont aber auch, dass die Intensivstationen im Land aktuell nicht mehr dieselben Kapazitäten aufnehmen können, wie in der zweiten und dritten Welle. „Wir haben einen Personalschwund. Einige reduzieren ihre Arbeitszeit, weil die Belastung zu hoch wird, anderen verlassen den Beruf komplett“, berichtet der Mediziner. In Stuttgart sehe die Lage besser aus. „Im Klinikum Stuttgart konnten wir 2020 die Zahl der Pflegekräfte um 50 Vollkräfte steigern“, sagt Klinikchef Jürgensen.

„Das Ansteigen der Inzidenz ist nicht automatisch eine Katastrophe“, sagt der Virologe Hartmut Hengel. Der Professor an der Uniklinik in Freiburg beobachtet einen Anstieg der Fallzahlen vor allem bei Kindern und Jugendlichen. „Bei dieser Gruppe verlaufen die Infektionen zum Glück meist harmlos“, sagt Hengel.

Die Strategie der Landesregierung, weniger auf die Inzidenz und dafür mehr auf die Quote der Krankenhauseinweisungen zu schauen, hält Hengel nur teilweise für richtig. „Die Hospitalisierungsquote ist eine sinnvolle Zahl, die Frage ist aber, wie schnell sie zur Verfügung steht. Wenn die Menschen bereits im Krankenhaus sind, kann man nicht mehr gegensteuern“, sagt er. Aus einer Sicht bleibt die Inzidenz deswegen ein wichtiger Indikator, da sie das Infektionsgeschehen früher abbildet. „Man müsste sie aber um eine Altersgewichtung ergänzen“, sagt der Virologe. Wichtigstes Mittel im Kampf gegen das Virus bleibe aber nach wie vor die Impfung. Man müsse dringend die Impflücken bei Erwachsenen schließen: „An diese Menschen muss man appellieren und ihnen klar machen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

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Erstellt:
27.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 27.08.2021, 06:00 Uhr

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