Moderatorin in Haft

China und die verschwundene Journalistin

Die Australierin Cheng Lei moderierte beim Staatsfernsehen in Peking. Seit genau einem Jahr sitzt sie in Haft.

13.08.2021

Von Fabian Kretschmer

In Peking feiert die KP ihre Gründung vor 100 Jahren. Foto: Chen Zhonghao/dpa

In Peking feiert die KP ihre Gründung vor 100 Jahren. Foto: Chen Zhonghao/dpa

Peking. Einmal im Monat wird Cheng Lei in den Kommunikationsraum ihrer Haftanstalt gebracht – in Handschellen und mit verbundenen Augen –, um per Videoschalte konsularischen Beistand zu bekommen. Mehr Kontakt zur Außenwelt hat die Australierin derzeit nicht. Ihre zwei Kinder – zehn und zwölf Jahre alt – hat die Journalistin bis heute nicht wiedersehen können.

Vor genau einem Jahr wurde Cheng Lei wegen angeblicher „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ verhaftet. Ihr Fall generierte vergleichsweise wenig Solidarität, auch ein internationaler Aufschrei blieb aus. Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass die 46-Jährige für einen chinesischen Propagandasender gearbeitet hatte. Sie war quasi Teil eines Systems, dem sie nun zum Opfer geworden ist.

Cheng wuchs im zentralchinesischen Hunan auf. Mit zehn Jahren zog die Familie nach Australien, da der Vater dort ein Doktorstudium absolvierte. Es waren die Mitte der 80er Jahre: Das von bitterer Armut geprägte China erntete gerade die ersten Früchte seiner wirtschaftlichen Reformen. Der Westen glaubte damals fälschlicherweise, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis China mit steigendem Wohlstand sich auch politisch öffnen würde. Cheng Lei verbrachte ihre Jugend in „down under“. Zurück in ihrem Geburtsland ging ihr Traum vom Journalismus kurz nach der Jahrtausendwende auf: Cheng startete ihre Karriere als Shanghai-Korrespondentin des US-Senders CNBC.

Kollegin: Da ist nichts dran

Dort galt sie als aufstrebendes Talent – wegen ihrer einnehmenden Art, den Fach- und Sprachkenntnissen. Die Motivation, 2012 zum chinesischen Propagandasender CGTN zu wechseln, dürfte wohl auch der Work-Life-Balance geschuldet gewesen sein: Cheng Lei war eine alleinerziehende Mutter und den unsteten Lebensstil als Reporterin satt.

Doch die Zeit des aufrichtigen Journalismus war schon bald vorbei. Vor wenigen Jahren ließ Peking das Management von CGTN in Amerika austauschen und schickte immer öfter direkte Anweisungen. Eine davon lautete etwa, über ein US-Biowaffenlabor zu berichten, aus dem laut chinesischen Verschwörungstheorien das Coronavirus geleakt wurde.

Die ersten sechs Monate verbrachte Cheng in einem Geheimgefängnis, später wurde sie in eine Zelle mit drei Insassen verlegt. Der chinesische Staatsapparat hat bislang weder Beweise vorgelegt, noch einen Prozesstermin angesetzt. Christine Schiffner, die einst in den USA für CGTN tätig war und heute als freie Journalistin für die ARD arbeitet, hatte beruflich mit Cheng Lei zu tun. Sie kann sich nicht vorstellen, dass an den Vorwürfen etwas dran ist: „Cheng Lei war bewusst unpolitisch, sie hat eine Wirtschaftssendung moderiert. Ihr Fokus lag auf der Kindererziehung.“