Fußball

Die soziale Seite der Stuttgarter Ultras

Die Mitglieder des Commando Cannstatt 97 helfen einem Krankenhaus in Italien. Eine Aktion in Zeiten der Coronakrise mit großer Symbolkraft.

20.03.2020

Von ELISABETH ZOLL

Ein Blick in die Cannstatter Kurve: Hier schlägt traditionell das Herz der treusten VfB-Anhänger. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Ein Blick in die Cannstatter Kurve: Hier schlägt traditionell das Herz der treusten VfB-Anhänger. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Stuttgart. Für die einen sind sie Stimmungsmacher, für andere kostümierte Krakeeler: die Ultras der Profi-Fußballvereine. Die wenigsten jedoch bringen in Gedanken die hartgesottenen Fans mit sozial Engagierten zusammen. Doch das sind sie auch, wie aktuell das Commando Cannstatt 97 (CC) zeigt, die älteste Ultra-Fanvereinigung des VfB Stuttgart. Die Mitglieder haben in Zeiten von Corona nicht nur Hilfsbedürftige aus dem nahen Umfeld im Blick.

„Wir wissen um unsere Strahlkraft“, sagt Benjamin Nagel selbstbewusst, der Sprecher des Commando Cannstatt 97. Wenn die rund 1600 Mitglieder über Twitter oder andere Social-Media-Kanäle mit Gleichgesinnten in Kontakt treten, wird meist schnell reagiert. Die Ultras sind eng verbunden. Normalweise jedes Wochenende durch Heim- und Auswärts-Spiele oder die Vorbereitungen für Aktionen im Stadion. In Zeiten von Corona eben über das Internet.

„Durch unsere Aufrufe erreichen wir Leute, die über eine Zeitung nicht erreichbar sind“, sagt Nagel und meint damit die rund 15 000 Fans, die auf Steh- und Sitzplätzen in der Cannstatter Kurve den VfB anfeuern. Die CC-Ultras haben sich diese Vernetzung für eine Solidaritätsaktion mit dem Krankenhaus Bufalini di Cesena in Norditalien zu Nutze gemacht.

Seit mehr als einem Jahrzehnt unterhält der Verein eine enge Verbindung zu den Ultras der Curva Mare aus Cesena. In Stuttgart lebende Deutsch-Italiener gaben den Anstoß. Man besucht sich zu Spielen, feiert und tauscht sich über Aktionen aus. „Die italienischen Ultras haben die deutschen Kurven mitgeprägt“, sagt Nagel, Anfang 30, der sich seit seinem 16. Lebensjahr als Fan für den VfB engagiert und den Aufbau dieser Fußballfreundschaft deshalb hautnah miterlebt hat.

Auch dass sich ihre italienischen Freunde nach den Erdbeben in den Abruzzen 2009 sofort zusammenschlossen, um jenen zu helfen, deren Zuhause zerstört war, blieb ihnen nicht verborgen. „Die Ultras erreichen viele Menschen. Da hilft auch ein kleiner Betrag, damit etwas zusammenkommt.“

So wie bei der Solidaritätsaktion für die vom Coronavirus hart betroffene Region Emilia-Romagna, die neben der Lombardei zu einem der Hotspots in Italien zählt. Die Kliniken sind überlastet. Oft fehlen Mundschutz, Handschuhe und Geld für Beatmungsgeräte. Dafür hat das Commando Cannstatt einen Spendenaufruf unterstützt. Die Geste ist angekommen. „Aus Italien hat uns große Dankbarkeit erreicht. Niemand hätte das von uns erwartet.“

Es sind solche Zeichen, die in Zeiten der Verunsicherung Mut machen. Das Commando Cannstatt belässt es nicht bei dieser Aktion. „Wir haben unsere Leute aufgefordert, die Augen aufzuhalten und zu melden, wenn irgendwo Hilfe gebraucht wird.“ So haben die Stuttgarter Ultras eine Kontaktplattform eingerichtet und einen Aufruf zur Blutspende gestartet. „Unser soziales Herz haben wir nicht erst mit dem Coronavirus entdeckt“, stellt Benjamin Nagel klar.

Er ist von Beruf Kaufmann. Hilfen für Obdachlose, wie für den Kältebus des Roten Kreuzes in Stuttgart, gehören seit Jahren zum festen Programm der Cannstatter Ultras, die sich sonst eher um Choreografien bei Bundesligaspielen und Fan-Gesänge kümmern. „Uns reicht es nicht, eine Karte fürs Spiel zu kaufen, zwei Bier zu trinken und dann wieder heimzugehen.“

Mulitkulti im Stadion

Ultras gelten normalerweise als die Problemkinder der breitgefächerten Fan-Szenerie im deutschen Fußball. Ein Grund: Manche zündeln mit der hochgefährlichen Pyrotechnik, die die Stadien in gesundheitsschädliche Rauchschwaden hüllen. Auch eine Nähe zur rechten Hooligan-Szene wird manchen Fangruppen nachgesagt. Nagel betont für das Commando Cannstatt dagegen die Mulitikulturalität. „In unserer Kurve ist zuhause, wer in Stuttgart zuhause ist.“ Anders sei das im bunten Cannstatt gar nicht möglich.

Benjamin Nagel hebt die gesellschaftliche Verantwortung von Gruppen wie ihnen hervor. Deshalb sind für die Mitglieder des Commando Cannstatt 97 auch Kneipentreffs als Ersatz für Stadionbesuche momentan tabu.

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Erstellt:
20.03.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 20.03.2020, 06:00 Uhr

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