Leichtathletik

Ben Johnson, die gestürzte Sprint-Ikone

Vor 30 Jahren geschieht bei den Sommerspielen in Seoul Außergewöhnliches: Erst Weltrekord, dann wird ein Doping-Skandal von großem Ausmaß aufgedeckt.

22.09.2018

Von SID

Ganz schöne Muskel-Anhäufungen, leider nicht ehrlich erworben: Ben Johnson bei seinem Traumlauf von Seoul, der in einem Albtraum endete. Foto: RON KUNTZ / AFP

Ganz schöne Muskel-Anhäufungen, leider nicht ehrlich erworben: Ben Johnson bei seinem Traumlauf von Seoul, der in einem Albtraum endete. Foto: RON KUNTZ / AFP

Nein, gelernt hat Ben Johnson aus all dem nichts. Er, der vor 30 Jahren bei den Olympischen Spielen vom schnellsten Menschen der Welt binnen drei Tagen zum Geächteten wurde, sieht sich immer noch als Opfer einer Intrige. „Es gibt nur eine Möglichkeit, dass Ben Johnson scheitert: wenn sich jemand einmischt und alles kaputt macht“, sagte der Kanadier unlängst dem Schweizer „Magazin“: „Wie in Seoul: Sie konnten mich nicht schlagen, also taten sie, was nötig war, um mich zu stoppen.“

Was Johnson nicht sagte: Gestoppt hat sich der neben Lance Armstrong berühmteste und berüchtigste Doper der Sportgeschichte in erster Linie selbst. Und doch hatte sein Fall etwas Gutes. Der größte Doping-Skandal Olympias führte gegen Ende der Anabolika-Hochzeit zu einem Umdenken – spätestens seitdem wird der Kampf gegen Betrüger professioneller geführt.

„Jahrhundert-Rennen“

Samstag, 24. September 1988: Das olympische 100-m-Finale sollte ein Jahrhundert-Rennen werden, der titanische Kampf zwischen Carl Lewis und Ben Johnson. Hier der elegante wie unnahbare Superstar aus den USA, Olympiasieger 1984. Dort der bullige, aber unbeholfen auftretende gebürtige Jamaikaner, Weltmeister 1987 und Weltrekordler. Zwei Athleten auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, eine Konstellation, wie sie der Sprint selten zuvor und danach nie mehr sah. Ein Usain Bolt zum Beispiel hatte an besten Tagen keinen ebenbürtigen Gegner.

Ebenbürtig war allerdings auch Lewis in Seoul nicht. „When the gun go off, the race be over“, hatte Johnson getönt: „Sobald der Startschuss fällt, ist das Rennen vorbei.“ So war es dann auch: Johnson triumphierte in 9,79 Sekunden, ein für die Prä-Bolt-Ära geradezu irrwitziger Weltrekord, Lewis wurde mit 13 Hundertsteln Rückstand Zweiter. Ben war endgültig Big, der Größte. Zumindest für die kommenden Stunden, bis das passierte, was die Sportwelt aus den Angeln hob.

Am Tag nach dem Rennen analysiert der Chef des Anti-Doping-Labors in Seoul eine Vielzahl Urinproben. Er bedient sich einer neuen Nachweis-Methode für das Anabolikum Stanozolol, welche die Anti-Doping-Forscher Manfred Donike und Wilhelm Schänzer in Köln entwickelt hatten. Bei einer Probe ist das Ergebnis positiv – Johnsons.

In der Nacht zu Montag wird dessen Trainer Charlie Francis informiert – er reagiert fassungslos. Natürlich waren Johnsons groteske Muskelberge mit Hilfe von Anabolika entstanden. Aber eben nicht mit Stanozolol, sondern mit Estragol. Und das habe, so ist Francis sicher, Johnsons Arzt Jamie Astaphan rechtzeitig vor Olympia abgesetzt.

Johnsons Theorie bis heute: Ein Vetrauter Lewis? habe ihm unmittelbar vor der Dopingprobe Stanozolol-Kapseln in eines jener Biere getan, die ihn zur Urinabgabe befähigten.

Das IOC will Zeit gewinnen. Doch die Nachricht sickert an die Nachrichtenagentur AFP durch, die in tiefer koreanischer Nacht eine Eilmeldung tickert. Als die Hölle losbricht, ist Johnson bereits auf der Flucht.

Heute, mittlerweile 56 Jahre alt, trainiert er in Toronto junge Sprinter und lebt weiter in seiner eigenen Welt. Auf dem Nummernschild seines Mini Coopers steht: BEN979. sid

Zum Artikel

Erstellt:
22.09.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 29sec
zuletzt aktualisiert: 22.09.2018, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport