Grüne

Die letzte Rettung

Um das Kanzleramt kämpft die Partei mittlerweile nicht mehr. Spitzenkandidatin Annalena Baerbock hat sich zu viele Fehler geleistet. Umso mehr kommt es jetzt auf einen Mann an: Robert Habeck.

30.07.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Robert Habeck tourt durch Norddeutschland. Manch einer sähe ihn anstelle von Annalena Baerbock lieber als Kanzlerkandidaten. Foto: Gregor Fischer/AFP

Robert Habeck tourt durch Norddeutschland. Manch einer sähe ihn anstelle von Annalena Baerbock lieber als Kanzlerkandidaten. Foto: Gregor Fischer/AFP

Neustadt. Für drei Passagiere eines Regionalzuges nach Neustadt in Holstein ist klar, Robert Habeck wäre der bessere Kandidat gewesen. Die drei Frauen mit norddeutschem Akzent sind unterwegs zu einem Auftritt des Grünen-Mannes, und sie unterhalten sich über die Chancen der Grünen-Spitzenfrau Annalena Baerbock. „Sie wurde ja nur wegen der Frauen-Quote genommen“, sagt die eine. „Ja, das ist ja okay. Aber mir redet sie immer zu schnell“, erwidert die andere. Die Dritte geht auf die Fehler in Baerbocks Lebenslauf ein und schließt mit: „Wer was gegen die Grünen hat, der findet auch was.“

Einen Tag vorher steht Robert Habeck im Regen. Als er am Timmendorfer Strand zum Mikro greift und zu den Versammelten sprechen will, fällt eimerweise Regen. Die Leute verstecken sich unter Regenschirmen oder zweckentfremden Papphocker als Schutzschilder. Habeck will sich keinen Schirm geben lassen. Innerhalb von Minuten ist er klatschnass und sagt: „Wenn wir gehen, schreibt die Presse: ,Grüne flüchten vor Regen'. Jetzt sagen sie: ,Grüne trotzen Regen'.“

Schlechte Umfragewerte

Nein, es läuft nicht rund für die Grünen. Seit sie Baerbock zur Kanzlerkandidatin gekürt haben, kennen die Umfragen nur einen großen Trend: nach unten. Diskussionen über ihren Lebenslauf und ihr Buch haben die Partei in Umfragen abstürzen lassen. Zuletzt musste sich Baerbock für den Gebrauch des rassistischen Wortes „Neger“ entschuldigen, das sie (wie auch in diesem Text) lediglich verwendet hatte, um den damit verbundenen Zusammenhang zu verdeutlichen. Standen die Chancen auf das Kanzleramt bei ihrer Nominierung im Frühjahr gar nicht schlecht, sind sie mittlerweile verflogen. Die Grünen verharren bei 20 Prozent und wollen retten, was zu retten ist. Ihre politischen Gegner genießen die verfahrene Lage. Manch einer deutet an, er habe aus dem Habeck-Lager gehört, dass er putscht und Baerbock womöglich ablöst.

Der grüne Co-Bundesvorsitzende ist gerade an der Nord- und Ostseeküste Schleswig-Holsteins unterwegs. Im zweiten Teil seiner Küstentour besucht er Firmen, hält auf Marktplätzen Reden, verteilt Autogramme und posiert für Selfies. Habeck will sprichwörtlich für gute Bilder sorgen. Als Macher, Lenker, Revolutionär. Von Regen lässt er sich die Gelegenheit nicht verderben, obwohl ein heißer Sommer wie in den vergangenen Jahren den Grünen mehr genutzt hätte.

Beim digitalen Parteitag Anfang Juni wurden er und Baerbock als Spitzenduo mit überwältigender Mehrheit gewählt. Während ihre Popularität bröckelt, ist seine ungebrochen. Vor allem in Schleswig-Holstein, wo er einst Landwirtschafts- und Umweltminister war, hat er Fans. Wäre ein Wechsel so spät im Wahlkampf noch möglich? Habeck wiegelt ab. Nein, das stimme nicht. Auch wenn etwas dran wäre, in der politischen Logik solcher Prozesse dürfte er es als Letzter sagen.

Am Marktplatz in Neustadt angekommen, wartet schon eine Traube von Menschen auf Habeck. Der Flensburger redet frei und nimmt sich dabei die ganz großen Aufgaben vor. „Wir können Geschichte schreiben“, sagt er. Würde und Freiheit könnten nur bewahrt werden, indem die Politik aufwache und den Klimaschutz ernst nehme. Jetzt gebe es noch die Möglichkeit dazu, später nicht mehr. Langsam gehe ihm die Geduld aus. Denn die Union und FDP würden die Grünen angreifen, statt selbst Konzepte vorzulegen. „Schluss mit der Antwortlosigkeit“, fordert er.

Über Baerbock spricht Habeck nicht, zumindest nennt er sie nicht beim Namen. Auch das Thema, dass ja mal das Kanzleramt zum Greifen nah war, spart der Co-Vorsitzende lieber aus. Abends im Fernsehinterview sagt er auf Nachfrage, dass die Grünen trotz der Patzer Baerbocks an ihrer Spitzenkandidatin festhalten werden. „Wir haben eine Aufstellung entschieden, und jetzt hängt alles davon ab, diese Aufstellung erfolgreich durchzudribbeln.“

Die Nummer eins im Norden

Wenn Habeck mit seinen Reden fertig ist, umringen ihn Bürger. Sie wollen Selfies, sich seine Bücher unterschreiben lassen, einige wollen auch über die umweltpolitischen Probleme im Norden reden. Der Lübecker Hartwig Marung mit seinem Sohn Jasper ist auch darunter. Vor zwei Jahren, erzählt der Vater, hat Habeck am Berliner Hauptbahnhof auf den Jungen kurz aufgepasst. Der Vater musste schnell in den Zug hüpfen und den fast vergessenen Koffer holen. Heute hat sich Jasper eine Unterschrift geholt. „Herr Habeck hat mich damals getröstet“, sagt Jasper, und es wird klar, wer hier im Norden die Nummer 1 der Grünen ist.