Kino

Die ewige Nacht des Grauens

Kaum ein Horrorstreifen war einflussreicher und lukrativer als John Carpenters „Halloween“. 40 Jahre später schlägt sich Jamie Lee Curtis jetzt wieder mit dem Schlitzer herum.

19.10.2018

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Man erkennt ihn sofort: Michael Myers treibt wieder sein Unwesen. Er hat sein Erscheinungsbild in den vergangenen 40 Jahren eben nicht sonderlich verändert. Foto: Universal

Man erkennt ihn sofort: Michael Myers treibt wieder sein Unwesen. Er hat sein Erscheinungsbild in den vergangenen 40 Jahren eben nicht sonderlich verändert. Foto: Universal

Ulm. Das Schrecklichste war, dass man fast nichts sah. Das Schrecklichste war, dass so wenig geschah. Das Schrecklichste war, dass man fast die ganze Zeit wartete, dass etwas Schlimmes passierte. Und wenn man dann tatsächlich sah, wie etwas Schlimmes passierte – dann erschrak man trotzdem.

John Carpenters „Halloween“ war in vielfacher Hinsicht ein Meilenstein. Aber die größte Leistung des Filmemachers bestand 1978 wohl darin, aus wie wenig er wie viel schuf.

Die Geschichte war simpel. Der maskentragende Michael Myers, der einst als Sechsjähriger seine Schwester in einer Halloweennacht erstochen hatte, bricht viele Jahre später aus der Anstalt aus und kehrt mit blitzendem Messer in seinen Heimatort Haddonfield/Illinois zurück. Der Psychiater Dr. Loomis hängt sich an seine Fersen. Und wieder ist Halloween, und Michael Myers macht sich daran, junge Frauen abzumurksen. Vor allem auf das Mädchen Laurie Strode hat er es abgesehen.

„Halloween“ war ein Kassenknüller: Bei einem auch für damalige Verhältnisse lachhaften Budget von 325 000 Dollar (und nur 21 Drehtagen) spielte der Streifen weltweit 70 Millionen Dollar ein. Rechnet man hinzu, welche Einnahmen später Fortsetzungen und der Videomarkt in die Kassen der Produzenten spielten und spülten, kann man von einer der besten Investitionen der Filmgeschichte reden.

Aber mehr noch: John Carpenter hatte tatsächlich einen modernen Klassiker des Horrorfilms geschaffen. Denn er brachte mit einer bewusst minimalistischen Bildsprache eine universelle Erzählung der Angst kongenial auf die Leinwand. Mit erstaunlicher Ökonomie und an Hitchcock und Hawks geschulter Spannungs-Dramaturgie schuf er dabei sogar ein eigenes Genre, den Slasher-Film (also den Schlitzer-Film), das seitdem für jede Generation neu belebt und variiert wird, von „Freitag der 13.“ bis „Scream“.

Bislang zehn Filme

John Carpenter hatte damit also eine Film-Formel geschaffen, die immer und immer wieder verwendet wird – nicht zuletzt von den kaum mehr zu zählenden „Halloween“-Sequels und -Aufgüssen. Okay, man kann sie schon zählen: Es sind neun weitere offizielle „Halloween“-Filme entstanden, manche recht gut, mache weniger gut, manche totale Grütze.

Nun kommt mit „Halloween“ ein weiter Teil in die Kinos, doch diesmal handelt es sich wirklich um eine Besonderheit. Denn der neue Film heißt nicht nur genauso, wie das Original vor 40 Jahren hieß, er ignoriert auch die Handlung aller Streifen seit 1978. Selbst „Halloween II“ (1981), der eigentlich unmittelbar an die erste „Nacht des Grauens“ (wie der deutsche Zweittitel lautete) anschloss, wird übergangen.

„Halloween“ setzt also die Story von „Halloween“ unmittelbar fort, und dafür spielt sogar Jamie Lee Curtis wieder die Hauptrolle. Sie wurde einst durch ihre Performance als Laurie Strode zur gefeierten „Scream Queen“ und später zu einem veritablen Hollywood-Star („True Lies“). Nun, mit 59, macht die Tochter von Janet Leigh und Tony Curtis weiter, wo sie mit 19 aufgehört hat. Was natürlich so nicht ganz stimmt, denn in zwei Fortsetzungen hatte sie bereits mitgespielt, aber die zählen ja nicht mehr – siehe oben.

Der Alptraum beginnt aufs Neue

Um was es in dem neuen Film geht? Michael Myers gelingt bei einem Gefangenentransport die Flucht. Angetrieben von seinem bestialischen Morddrang macht er sich wieder auf den Weg nach Haddonfield, der Alptraum beginnt für die Bewohner aufs Neue. Nur Laurie Strode, die das Geschehen von einst seelisch nie ganz überwunden hat und ihrer Umgebung mit ihrer neurotischen Wehrhaftigkeit auf die Nerven geht, ist jetzt genau die Richtige, um sich dem personifizierten Bösen entgegenzustellen.

Das klingt nicht arg originell, man kann sich messerscharf denken, was passiert. Aber es waren gerade die absolute Reduktion der Handlung (auf einen Ort und einen Tag), die präzisen Schockeffekte, die suggestiven Kamerafahrten und die formale Konzentration, die die „Halloween“-Formel so wirksam machten – warum etwas verändern?

Augenblicke reinen Terrors

Und trotz des Minimalismus hat „Halloween“ stets reichlich Material für Interpretationen geboten. John Carpenter hat selbst auf den Kern hingewiesen: „Der Film handelt vom Bösen und von Sexualität, von erotischen Triebkräften und deren Kompensation. Diese Verquickung hat mir viel Kritik eingebracht. Denn ironischerweise ist das einzige Mädchen, das in diesen Film nicht mit den Jungs herummacht, Jamie Lee Curtis, diejenige, die den Killer niedersticht. Sie ist denselben Repressionen ausgesetzt wie der Killer, aber sie wird diese sexuelle Energie los.“

Die regressive Moral hat der Film mit vielen Schlüsselwerken des Horrorgenres gemein. Dennoch mag man dem Filmwissenschaftler Georg Seeßlen nicht widersprechen: Letztlich sei „Halloween“ nicht an einer moralischen Fabel gelegen, in erster Linie sei der Film „auf die Erzeugung von Augenblicken des reinen Terrors aus“. Schließlich tötet Michael Myers offenbar motivlos, und just darin – man mag es Nihilismus nennen – liegt auch ein Schrecken.

Zudem wirkt der Maskenmann Myers nicht wie eine reale Person, sondern wie ein Inkarnation des Bösen. Dafür spricht ebenso, dass er selbst gar nicht wirklich zu töten ist, dass er immer und immer wieder aufstand und aufsteht (natürlich auch aus kommerziellen Gründen). Der Kritiker Hans-Christoph Blumenberg fasste es schon vor fast 40 Jahren so zusammen: „Kein Film für Oberlehrer, Bedeutungsfahnder, Moralprediger und Leute mit noch schlechteren Nerven als gemeinhin üblich.“

John Carpenter selbst hat der filmischen Neuauflage von Regisseur David Gordon Green übrigens seinen Segen gegeben. Und nicht nur das, er steuert auch den neuen Soundtrack rund um sein berühmtes altes „Halloween“-Thema im 5/4-Takt bei.

„War das der Schwarze Mann?“, fragte Laurie Strode am Ende von „Halloween“ den Psychiater Dr. Loomis. Der antwortete: „Ja, er war es.“ Er ist es bis heute.

Jamie Lee Curtis im neuen „Halloween“-Film. Foto: Universal

Jamie Lee Curtis im neuen „Halloween“-Film. Foto: Universal