„Ob Gott existiert oder nicht, ist mir eher egal“

Die einstigen Theologen Alois und Margarete Payer sind heute „militante Anti-Theisten“

Alois und Margarete Payer leben in einer ausgemusterten Kirche in Ofterdingen und kritisieren von dort aus die Kirchen samt ihren Bräuchen.

31.03.2018

Von Jürgen Jonas

„Das lauft gut“: Alois und Margarete Payer inmitten von zehntausenden Büchern in ihrer ausgemusterten Kirche in Ofterdingen. Bild: Rippmann

„Das lauft gut“: Alois und Margarete Payer inmitten von zehntausenden Büchern in ihrer ausgemusterten Kirche in Ofterdingen. Bild: Rippmann

„Wir sind frömmer als die Schwestern der ewigen Anbetung!“, heißt es bei den Payers in Ofterdingen. Warum? Ganz einfach: Das Ehepaar Payer hält sich den ganzen Tag in einer Kirche auf und verbringt auch seine Nächte dort. Seit 1981 wohnen Margarete und Alois Payer nämlich in Ofterdingen, in einer ausgemusterten neuapostolischen Kirche, die mit vielen tausend Büchern gefüllt ist. Sie sind von Tübingen hergezogen, wo ihre Wohnung von Büchern überquoll. Der Platz kam gerade recht. Aus Kirchenbänken wurden Bücherregale, jetzt ist der Saal voll. In einer Halle im Industriegebiet, die sie angemietet haben, sind weitere etliche tausend Bücher untergebracht. Zusammen sind es wohl weit über 50.000 – nicht etwa wahllos zusammengetragen, sondern mit System ausgewählt.

Was macht das Ehepaar also an Ostern? Lesen und studieren natürlich. Zudem hat Alois Payer am 1. April Geburtstag. Da werden schon ein paar Leute anrufen, aber das ist dann auch alles an Osterfest bei den Payers. „Da gibt es nichts zu feiern“, sagt er. Was bei Christen als höchster Feiertag gilt, hat für die Payers nämlich nichts zu bedeuten – dabei haben beide als Theologen angefangen.

Alois Payer ist 1944 in Wien geboren, katholisch getauft. Sein Vater war kaiserlich-königlicher Leibgardist, in Sarajevo beim Attentat auf Franz Ferdinand anwesend. Auf einem Film von der Beerdigung von Kaiser Franz Joseph 1914 ist er zu sehen. Großvater Payer war Bildhauer, von ihm hängt ein Kreuzweg in der Kirche. Von der Mutter, gleichfalls Bildhauerin, hängt eben dort eine schöne Marienfigur. Er selbst hat acht Jahre im Jesuiteninternat in Vorarlberg verbracht. Streng bewacht. Stacheldraht hielt die Zöglinge von der Außenwelt fern. Immerhin: „Einen Missbrauchsskandal hat es nicht gegeben.“

Drei Jahre hat Alois Payer in Innsbruck Theologie studiert, mit Erlaubnis des Bischofs zugleich evangelische und katholische, ein Jahr war er auf dem Priesterseminar. Und auch im Seminar des Innsbrucker Mathematik-Professors und Freidenkers Wolfgang Gröbner, Spezialgebiet kommutative Algebra, gleichfalls von Jesuiten erzogen. Gröbner war Freidenker, sammelte einen Kreis von jungen Leuten um sich, die in nächtlichen Debatten erkunden wollten, ob Gott existiert. Von 1963 bis 1965 gehörte Payer diesem Diskussionskreis an. Ein stehender Gröbner-Spruch: „Äätsch, hast net glauben wolln, kannst jetzt bratn!“ Auch in Payer wuchsen die Zweifel. Er wollte nicht mehr Theologe sein, wurde Religionswissenschaftler.

In Tübingen haben sie sich kennengelernt. Sie ist, 1942 geboren, lutherisch getauft, in Hamburg geboren, im Saarland aufgewachsen, hat das Gymnasium in Homburg besucht, protestantische Theologie in Mainz und Tübingen studiert. War in der pfälzischen Landeskirche als Pfarrerin vorgesehen, damals durchaus noch eine „unübliche Sache“. In Tübingen gab es noch Überlegungen, in den Missionsdienst zu gehen. Ihre Forschungen zum Hinduismus hatten ein Ergebnis. Eine „Ungerechtigkeit“ mochte sie nicht hinnehmen: nur christlich Getaufte sollten erlöst werden können. Sie dachte um, machte eine diplombibliothekarische Ausbildung. Wurde schließlich Professorin an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. Er hatte als freier Wissenschaftler, Indologe, und Buddhologe, Lehraufträge in Tübingen, Zürich und Stuttgart.

Im Seminar eines bekannten evangelikalen Theologen gerieten sie öfter mit „Liebenzeller Missionaren“ in heftige Debatten. Als der Professor sich wieder einmal beklagte, wie man in der Landeskirche untergebuttert werde, fragte Payer, warum denn die Rechtgläubigen sich nicht einfach abspalteten? Grübelnde Gegenfrage: „Und wem gehört dann die
Stiftskirche?“ Also lieber nicht. „So hat der Mann die Sache auf den Punkt gebracht“, den des Besitztums nämlich.

Payer bezeichnet sich als „militanter Anti-Theist“, nicht als Atheist. „Ob Gott existiert oder nicht, ist mir eher egal.“ Payer, sagt er, beurteile den „Schöpfergott“ nach dem, was er „angerichtet“ habe. Und er habe, egal ob es sich um den der Christen, Juden oder Muslime handelt, wissentlich ein Leiden in die Welt gebracht, das „gerade wegen des ‚Weltethos‘ nicht mehr akzeptabel“ sei. Denn er „hält sich offenkundig nicht an primitivste ethische Normen.“ Dieses Leiden stellt laut Payer die Unternehmungen Hitlers, Stalins oder Pol Pots in den Schatten. Und er möchte, wie nicht mit diesen Herren, keinesfalls mit einem Gott befreundet sein, der das der Kreatur zumutet.

Payers betreiben gemeinsam ein Projekt im Internet, eine Internet-Seite mit dem Titel Tüpflis Global Village Library, in der sie ihre Forschungen und Funde präsentieren. Untertitel „Freie Information für freie Bürger.“ Tüpfli war der Name eines Katers der Payers, der im Jahr 2005 stark betrauert verstarb. Heute schleicht Nachfolger Gumpi um die Bücher herum.

Auf der Internetseite gehe es auch darum, Aufklärung zu betreiben. Etwa zur Lage der Religionen und des Staates in Thailand, zum übeltätigen Hindu-Nationalismus, zur Landwirtschaft in Entwicklungsländern. „Das lauft gut“, sagt Payer – es gebe auf der Seite 35.000 Zugriffe in der Woche. Aus über 100 Ländern gelangten interessierte Menschen auf die Seite aus Ofterdingen an der Steinlach.

Gibt es deshalb Angriffe? Nein, „wir genießen „Narrenfreiheit“, sagt Alois Payer. Die Drohungen im Internet hätten abgenommen, auch im Dorf spiele die Ablehnung der Religion keine Rolle. Das kinderlose Ehepaar hat zwei Wahltöchter: Sharmila, 37, aus Indien, als Tanzkünstlerin in der Schweiz lebend, und Namcha, 27, aus Thailand, Architektin. Namcha, irreligiös erzogen, besuchte auch höchst interessiert den Religionsunterricht. Weihnachten und Ostern nahm sie nur als Folklore wahr. Der Spruch eines Enkels freut Oma und Opa besonders: „Wenn Gott so stark ist – warum zeigt er es nicht?“

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Erstellt:
31.03.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 46sec
zuletzt aktualisiert: 31.03.2018, 01:00 Uhr

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