Tüftler und Macher

Die durch das Feuer gehen

Seiz Technical Gloves – das Familienunternehmen mit Sitz im kleinen Ort Glems am Fuße der Schwäbischen Alb ist Weltmarktführer für Feuerwehrschutzhandschuhe. Mit seinem Tüftlergeist ist Geschäftsführer Rainer Seiz ständig auf der Suche nach Weiterentwicklungen und neuen Einsatzgebieten für Hightech-Handschuhe. Zum Beispiel auch für den Wintersport.

28.10.2016

Von Birgit Pflock-Rutten

Textile oder Lederhandschuhe im Feuerwehreinsatz? Die „Feuerprobe“ führt Rainer Seiz gerne vor – mit überzeugendem Ergebnis.

Textile oder Lederhandschuhe im Feuerwehreinsatz? Die „Feuerprobe“ führt Rainer Seiz gerne vor – mit überzeugendem Ergebnis.

Ein kleines Handschuhmuseum empfängt die Besucher im Firmengebäude. Rainer Seiz hat hier historische Exponate aus dem Handschuhmacherhandwerk zusammengetragen: traditionell gefertigte Handschuhe, feinstes Leder, historische Werkzeuge und Fotografien. In einer Büroetage des Firmengebäudes erzählt eine Wandfläche voller Handschuhe über die vielfältige Schaffenskraft des Unternehmens Seiz: Hunderte von Modellen für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche ergeben Seite an Seite eine farbenfrohe Impression.

Die Geschichte der Glemser Firma begann im Jahr 1961. Gerbermeister Friedrich Seiz und seine Frau Hedwig, eine Bankangestellte, beschlossen, Arbeitsschutzhandschuhe zu produzieren – in modernem Design und von hochwertiger Qualität. Das Bauernhaus der Familie in Glems, dem kleinsten Ortsteil von Metzingen, diente als erste Produktionsstätte. In der Waschküche wurde auf engstem Raum genäht und gestanzt. Schnell wurde es zu eng, es folgten An- und Ausbauten.

Seinem Sohn Rainer riet Friedrich damals zur Gerberlehre. „Leder wird immer bleiben“, zitiert Rainer Seiz seinen Vater, „ eine Ironie des Schicksals – ich habe mich dann ja auf textile Handschuhe fixiert.“ Die Lehre bereut er dennoch nicht, im Gegenteil: „Das Wissen über die Vor- und Nachteile des Leders war für meine Entwicklungen von großem Wert.“

1984 stieg er ins elterliche Unternehmen ein. „Zu dieser Zeit haben wir fast alle Handschuhe selber produziert.“ Rund 40 Mitarbeiter waren in der Produktion beschäftigt, die meisten in Heimarbeit.

Zu schaffen machte dem Unternehmen, dass immer mehr Importe aus Asien den Markt überschwemmten. Die Preise verfielen. „Die ersten zwei Jahre habe ich überlegt, ob das alles überhaupt Sinn macht“, erinnert sich Seiz. Aber sein Tüftlergeist ließ ihm keine Ruhe. Er überlegte, wie man den klassischen Arbeitshandschuh optimieren könnte. „Da fielen mir die Strickhandschuhe meiner Oma ein. Da müsste man doch auch Arbeitshandschuhe draus machen können.“ Auf der Suche nach einem Kooperationspartner stieß er auf einen ungarischen Staatsbetrieb, der Modehandschuhe für die Sowjetunion fertigte. „Die haben sich für die Idee, gestrickte Arbeitshandschuhe zu produzieren, begeistert. Wir waren die ersten, die bei Handschuhen mit Textilien experimentiert haben.“ Der Vorteil der Technik: Das Material ist extrem schnittfest und ermöglicht durch die nahtfreie Verarbeitung ein wesentlich besseres Tastgefühl.

Auch wenn die ersten Modelle auf der Fachmesse noch belächelt wurden, läuteten sie eine Erfolgsgeschichte ein. Schon im ersten Jahr wurden statt der angepeilten Verkaufszahl von 20 000 Paar gleich doppelt so viele geordert. Die Firma Daimler, der erste Kunde der neuen Arbeitshandschuhe, setzt dieses Modell bis heute ein. Das Produktspektrum wuchs und wuchs, und Rainer Seiz arbeitete unermüdlich an der Optimierung der Materialien für immer filigranere Einsätze.

Handschutz für die Feuerwehr

Zu den frühen Kunden der Firma Seiz zählte auch die Feuerwehr Reutlingen. „Die waren Vorreiter in Sachen Technik“, sagt Rainer Seiz, „und eine der ersten Feuerwehren in Deutschland mit Einsatzjacken aus Nomex“, einem Material aus flammfester Faser, die nicht schmilzt. Die Handschuhe allerdings waren damals, Ende der 80-er Jahre, noch aus Leder. Für Rainer Seiz war es naheliegend: „Wir brauchen jetzt etwas Besseres“. Von Seiten der Reutlinger Feuerwehr kam dann eine zwei Seiten umfassende Liste mit Anforderungen. „Nie und nimmer wird man das in einem Handschuh unterbringen“, dachte Seiz damals. Er resignierte nicht, sondern tüftelte weiter. 1994 kam der erste Feuerwehrhandschuh aus textilen Hochleistungsfasern, der „Fire Fighter“, auf den Markt. Inzwischen hat sich die Firma Seiz zum Weltmarktführer für Feuerwehrhandschuhe entwickelt.

Ende Juni dieses Jahres wurde Seiz mit dem Innovationspreis Mittelstand der Volks- und Raiffeisenbanken ausgezeichnet: für seine Entwicklung eines Feuerwehrhandschuhs mit Temperaturmessgerät. Während Feuerwehrleute bisher ihre stark isolierenden Schutzhandschuhe ausziehen mussten, um die Oberflächentemperatur an geschlossenen Türen zu erfühlen, ermöglicht die Neuentwicklung eine Temperaturmessung aus sicherer Entfernung. Die Innovation kostete viel Entwicklungsarbeit. Der Versuch, das Messgerät in den Handschuh zu integrieren, scheiterte. Unter anderem daran, dass die Elektronik die Waschbarkeit verhinderte. „Wir haben uns dann entschieden, ein separates Messgerät zu entwickeln, das mit Druckknöpfen am Handschuh befestigt und durch Schütteln aktiviert wird.“ Viele Feuerwehren rund um den Globus testen die Handschuhe bereits und sind laut Seiz begeistert. „Wir versprechen uns einen großen Markt“, ist er überzeugt.

Ebenso bodenständig
wie innovativ

Bei allem Erfolg: „Wir wollten nie weg aus Glems“, betont Rainer Seiz. Nach etlichen Erweiterungen erfolgte 2003 der Umzug ins jetzige Domizil in der Neuhauser Straße. Zehn Jahre später wurde ein riesiges Hochregallager angebaut. Von hier aus gehen rund 20 Millionen Paar Handschuhe pro Jahr in alle Welt: von Arbeitshandschuhen aller Art bis hin zu hochwertigen Feuerwehrhandschuhen, insgesamt mehr als 1000 verschiedene Modelle. Produziert wird zum großen Teil nach wie vor beim ungarischen Partnerunternehmen in Györ.

Für die Produktionsplanung und den internationalen Verkauf ist Rainer Seiz’ Ehefrau Marika zuständig. Mit Tochter Sina Seiz, zuständig für Marketing und PR, ist die dritte Generation mit an Bord. 35 Mitarbeiter beschäftigt die Firma Seiz in Glems – in der Lagerverwaltung und auch in der eigenen Näherei für Muster und Sonderanfertigungen. Fluktuation gibt es so gut wie keine, „Wer einmal bei der Firma Seiz arbeitet, bleibt bis zur Rente“, so der Geschäftsführer.

Jüngst ist Rainer Seiz auch in das Wintersportsegment eingestiegen. Die Athleten der deutschen Rodel-, Bob- und Skeleton-Nationalmannschaften werden mit Wettkampf- und Wärmehandschuhen aus dem Hause Seiz ausgestattet. Unter dem Motto „Was für die Profis gut ist, ist auch für Amateure nützlich“ arbeitet Seiz an futuristisch gestalteten Handschuhen, die auch mit einer Heizung ausstaffiert werden können. „Es ist für mich eine persönliche Herausforderung, Handschuhe zu entwickeln, über die ihre Träger sagen: Da hat sich einer wirklich was überlegt!“

Rainer Seiz auf der „Firefighter“, einer 864 PS starken Maschine, die auf Messen als Blickfang dient.

Rainer Seiz auf der „Firefighter“, einer 864 PS starken Maschine, die auf Messen als Blickfang dient.

In jedem Feuerwehr-handschuh steckt enormes Know-how und breites Materialwissen.Zu den patentierten Entwicklungen der FirmaSeiz zählt der Einsatz-handschuh, der mit einem Laser-Temperatur-messgerät ausgestattet ist.

In jedem Feuerwehr-
handschuh steckt enormes Know-how und breites Materialwissen. Zu den patentierten Entwicklungen der Firma
Seiz zählt der Einsatz-
handschuh, der mit einem Laser-Temperatur- messgerät ausgestattet ist.

Die durch das Feuer gehen
Rund 1000 verschiedene Handschuh-Modelle hat die Firma Seiz entwickelt – vom funktionalen Arbeitshandschuh bis zum hochkomplexen Feuerwehrhandschuh.

Rund 1000 verschiedene Handschuh-Modelle hat die Firma Seiz entwickelt – vom funktionalen Arbeitshandschuh bis zum hochkomplexen Feuerwehrhandschuh.

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Erstellt:
28.10.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 51sec
zuletzt aktualisiert: 28.10.2016, 06:00 Uhr

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