Ausbildung in der Gastronomie

Die Zimmerstunde bleibt

Nicht nur die klassischen Handwerksbetriebe suchen Personal, auch in Deutschlands Restaurants fehlen Köche und ausgebildete Kellner. Das liegt allerdings mehr am Gesinnungs- als am Strukturwandel, meint zumindest das Team vom Landhotel Hirsch in Bebenhausen.

29.06.2018

Von TEXT: Peter Strigl|FOTOS: Erich Sommer

Die Hirsch-Azubis: Malick Gai, Johannes von Ow-Wachendorf und Pia Schmid. (v.l.)

Die Hirsch-Azubis: Malick Gai, Johannes von Ow-Wachendorf und Pia Schmid. (v.l.)

Die Gastronomie ist einer der größten Arbeitgeber überhaupt. Mehr als eine Million Beschäftigte arbeiten deutschlandweit in der Küche oder im Service. Trotzdem kriselt es in der Branche. Die Betriebe haben Schwierigkeiten Personal zu finden, denn immer weniger junge Menschen ergreifen die traditionsreichen Berufe. Besonders bemerkbar macht sich die Entwicklung auf dem Land, wo das verlassene Wirtshaus fast schon zum Ortsbild gehört.

„Die Dorfkneipe stirbt aus“, sagt Ernst Fischer. Der Tübinger hat die Entwicklung als ehemaliger Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) hautnah miterlebt. 15 Jahre stand er dem Verband vor, bis er sich vergangenes Jahr nicht mehr zur Wahl stellte. Insbesondere kleine und mittelständische Betriebe hätten zunehmend Probleme. Fischer selbst arbeitet seit 1976 im Landhotel Hirsch in Bebenhausen bei Tübingen. Das Restaurant ist seit fast 130 Jahren im Besitz der Familie seiner Frau Brigitte, mit der zusammen er den Betrieb leitet.

Als Arbeitgeber kann er auf eine lange Reihe Auszubildender zurückblicken. „Seit 1970 sind es über 400 gewesen“, sagt Fischer. Er selbst ist ausgebildeter Koch und Serviermeister. Nach seiner Ausbildung arbeitete er in England, Frankreich, Schweden und der Schweiz. Die Reisemöglichkeiten sind auch einer der großen Vorteile des Berufs, findet Fischer. Derzeit beschäftigt der Hirsch drei Azubis, zwei von ihnen wollen nach ihrem Abschluss unbedingt ins Ausland. Der Dritte möchte erst einmal in Deutschland heimisch werden: Malick Gai kam vor knapp drei Jahren von Gambia nach Deutschland. Dabei reiste er durch Afrika und überquerte das Mittelmeer.

Ob er überhaupt hier bleiben kann, weiß der 23-Jährige noch nicht. „Ich hoffe, dass meine Chancen durch die Ausbildung besser sind.“ Obwohl er in seinem Heimatland früh die Schule abgebrochen hat und hier erst einmal Deutsch lernen musste, hatte er auf der Berufsschule sehr gute Noten. In seinem ersten Ausbildungsbetrieb, einem Cateringservice, war Gai aber nicht glücklich. Ein Lehrer empfahl den jugen Mann daher an Ernst Fischer. Im Hirsch fühlt er sich wohl, und auch sein Ausbilder ist zufrieden: „Er leistet gute Arbeit“, sagt Fischer. Weil er momentan noch in der Weilheimer Flüchtlingsunterkunft wohnt, sucht Gai nach einer neuen Bleibe in der Gegend.

Die anderen Azubis haben beide Abitur gemacht, deswegen lernen sie nach dem „FHG-Modell“: Der Verein „Förderer der Hotellerie und Gastronomie“ bietet Menschen mit hoher Schulbildung eine angepasste Berufsschule. Denn nur wenige Abiturienten machen heutzutage noch eine Lehre, die meisten studieren. An der Berufsschule in Bad Überkingen haben sie Fächer wie EDV und Recht, so qualifizieren sie sich für die gehobene Gastronomie und angrenzende Berufsfelder. „Ich sehe nicht ein, warum ich noch Religionsunterricht haben sollte“, sagt Johannes von Ow-Wachendorf.

Die Gastronomie ist bekannt für ihre hohe Abbrecherquote in der Ausbildung. Auch bei ihnen an der Berufsschule haben schon einige das Handtuch geworfen, berichten die Hirsch-Azubis. Als Grund werden meistens die Arbeitszeiten genannt. Die „Zimmerstunde“, die Pause zwischen 14 und 18 Uhr, ist das Schreckgespenst einer Generation, die vermehrt Wert auf Dinge wie Work-Life-Balance legt. Als Koch lassen sich lange Leerläufe am Nachmittag kaum vermeiden. „Bei uns kommen die meisten Gäste halt abends“, sagt Fischer. Trotzdem ist der Arbeitsbeginn normalerweise um 9 Uhr, weil viele Zutaten vorbereitet werden müssen. „In der Zwischenzeit haben wir zum Teil auch durchgehenden Dienst, aber es geht nicht für alle ohne Zimmerstunde.“

„Die Arbeitszeiten sind schon übel, das ist halt einfach so“, meint von Ow-Wachendorf. „Mir ist das egal, man muss sich damit abfinden.“ Gai findet auch Arbeiten am Wochenende okay. Die Dritte im Bunde, Azubine Pia Schmid, glaubt nicht, dass man die Arbeitszeiten attraktiver gestalten kann. „Das muss man sich als Auszubildender auch klar machen.“ Dafür sei das Arbeitsklima umso wichtiger, sind sich alle drei einig. „Das ist, was man beeinflussen kann“, so Ow-Wachendorf. Die gute Atmosphäre im Hirsch sei für ihn auch eine Motivation, fügt Gai an. „Jetzt bin ich in einem Haus wo“ – er stockt und sucht nach dem passenden Wort. „Harmonie herrscht“, sagt Schmid und lacht.

Wenn sich jemand unsicher ist, ob er den Beruf ergreifen soll, rät Fischer ihm erst mal ein Praktikum zu machen. So kann er die Abbruchquote entscheidend verringern. „Viele haben falsche Vorstellungen.“ Er weist aber auch darauf hin, dass jemand wie Gai ebenfalls als Abbrecher gelte, obwohl er nur den Betrieb gewechselt hat. Dass er selbst bisher wenig Probleme hatte Azubis zu finden, habe wohl auch mit seinem guten Ruf zu tun, sagt Ernst Fischer nicht ohne Stolz. Anfang des Jahres wurde der Gastronom für sein Lebenswerk als „Hotelier des Jahres“ ausgezeichnet.

Probleme gibt es eher bei den fertig ausgebildeten Fachkräften, sagt er. Die Bezahlung ist vielen zu niedrig. „Mit Geld kann man immer jemanden begeistern“, antwortet Schmid auf die Frage, ob das etwas ändern würde. Für sie ist das Gehalt aber nicht ausschlaggebend. „Ich kann mir eh nicht vorstellen in 20 Jahren noch in der Küche zu stehen“.

Eine andere Möglichkeit ist das eigene Restaurant. Das aber sei den meisten zu risikoreich, meint Fischer. „Dann gehen sie lieber zum Daimler.“ Denn als Gastronom muss man auch rechnen können: „Manche verkochen auch noch das Häuschen von der Oma und dann sind sie pleite.“ Von Ow-Wachendorf traut sich diesen Weg zu: „Ich kann mir schon gut vorstellen, ein eigenes Restaurant zu leiten. Mir macht Kochen Riesenspaß.“

Die Traube in Pfäffingen – das verlassene Wirtshaus gehört oft schon zum Ortsbild.

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