Kino

Die Welt von Bubenhausen

Satire, aber immer das wahre Leben: Lisa Millers „Landrauschen“ ist ein liebevoller, witziger und anarchischer Heimatfilm aus Bayerisch-Schwaben und hat das Zeug zum Kultstreifen.

18.07.2018

Von JÜRGEN KANOLD

Der Buddha von Bubenhausen: Karl Fischer verkörpert den Saur Franz. Foto: Franziska Baur

Der Buddha von Bubenhausen: Karl Fischer verkörpert den Saur Franz. Foto: Franziska Baur

Ulm. Deutschland im Trachtenjanker. Eine Männerriege um Horst Seehofer kümmert sich in einem Heimatministerium um den nationalen Populismus. Das ist eigentlich auch schon Satire. Da muss sich ein heutiger Heimatfilm, der nicht mehr vor einem Alpenpanorama oder in der Lüneburger Heide den deutschen Heimatvertriebenen Trost zu spenden hat, sehr anstrengen, wenn er die Realität aufs Korn nimmt.

Alles wiederholt sich, jetzt sorgen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder Libyen für neue Stammtischängste. In der Heimat freilich war die Welt noch nie wirklich in Ordnung, so sehnsüchtig sie auch beschworen wird. Hoimetaberau! So ungefähr könnten, bei aller Dialektverschiebung, die Einwohner von Bubenhausen im Landkreis Neu-Ulm, also in Bayerisch-Schwaben, die Sachlage zusammenfassen.

In Bubenhausen jedenfalls spielt das Debüt „Landrauschen“ von Lisa Miller, das beim Max-Ophüls-Festival als bester Film ausgezeichnet worden ist und jetzt in den Kinos anläuft. Und zwar nicht nur in der Heimat: auch in Berlin etwa, wo natürlich viele Schwaben leben, wo der Film aber auch mit englischen Untertiteln gezeigt wird.

Wobei ebenso deutsche Untertitel nötig sind: „I will was scheppra heara!“, blafft der Saur Franz den Bankmenschen an, wenn er das Haus zu Geld machen will, das seine Tochter Toni geerbt hat.

Karl Fischer verkörpert den Familienpatriarchen mit Bierbauch als einen knorrigen Buddha von Bubenhausen. Ein Original. „Landrauschen“ funktioniert fürs Publikum auch als kultiger Eingeborenen-Spaß. Aber es ist kein das Volk lächerlich machendes Draufschauen. Und ebensowenig inszeniert Lisa Miller ein aktuell brisantes Gesellschaftsdrama.

„Um wirklich zu wissen, wo und wie er lebt, braucht der Mensch das Geschichtenerzähler“, hat der Filmemacher Edgar Reitz einmal gesagt, der 1984 seine epochale „Heimat“-Saga begann. Kein Zufall, dass Regisseurin Lisa Miller, 1986 in Krumbach geboren, in der Heimat ihre Selbstfindungsgeschichte gedreht hat. Und so kommt ihre Protagonistin Toni (Kathi Wolf) mit Ende 20 und Hochschulabschluss, aber ziemlich ratlos aus Berlin wieder zurück ins Heimatdorf. Sie wohnt bei den Eltern und muss als freie Mitarbeiterin in der Lokalredaktion über Faschingsumzüge und den Gesangverein schreiben. Provinz halt. In Bubenhausen sind pink gefärbte Haare bereits ein Ereignis.

Da ist aber noch Rosa, eine lesbische junge Frau, die in einer WG lebt, in einer bigotten kirchlichen Einrichtung arbeitet und Flüchtlingen hilft – und beäugt wird wie ein Dorftrottel. Zwischen der schönen, schrillen Toni und der eigentlich lebenslustigen, bodenständigen Rosa entwickelt sich eine Romanze. Ein Landrauschen mit Träumen und Abstürzen.

So professionell die packende Neo-Volksmusik und die starken Bilder und Slapstick-Szenen etwa mit den Dorfpolizisten daherkommen: Lisa Miller erzählt feinfühlig vom wahren Leben. Großartig spielt die androgyne Nadine Sauter als Rosa auch ihre eigene Geschichte: Sie stammt selbst aus Bubenhausen, war vor zehn Jahren die erste lesbische Frau im Dorf, die sich outete.

Der hauptsächlich mit Laienschauspielern und Mini-Budget entstandene Film unterhält und rührt. Alles ist echt, aber nicht verzwungen dokumentarisch. Nichts wirklich Großes, aber eine schöne Mischung aus Bauerntheater und Arthouse-Kino; liebevoll, witzig und anarchisch. So kann man's in der Heimat, die nicht nur lustig ist, aushalten.

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Erstellt:
18.07.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 34sec
zuletzt aktualisiert: 18.07.2018, 06:00 Uhr

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