City-Logistik: Lieferverkehr beschränken

Die Tübinger Altstadt soll den Fußgängern vorbehalten sein

Die Neckargasse unterscheidet sich an manchen Tagen kaum von anderen Straßen in Tübingen, so viel Autos und Lastwagen fahren dort durch. „Ist das noch eine Fußgängerzone?“ fragte denn auch Thorsten Flink von der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WIT) am Montagabend in einer Veranstaltung zur „Tübinger City-Logistik“. Gekommen waren rund 70 Besucher, die meisten davon Händler, Gastronomen, Hoteliers, Gemeinderäte und Handwerker.

27.01.2017

Von Sabine Lohr

Das Verkehrsproblem in der Fußgängerzone – hier die Tübinger Neckargasse – hatte Konstanz auch. Und löste es halbwegs. Archivbild: Metz

Das Verkehrsproblem in der Fußgängerzone – hier die Tübinger Neckargasse – hatte Konstanz auch. Und löste es halbwegs. Archivbild: Metz

Etliche hatten bei einer Umfrage der WIT mitgemacht, die alles mögliche zur Belieferung und zum Verkehr in der Altstadt wissen wollte. 292 Fragebögen wurden an Gewerbetreibende in der Altstadt geschickt, 108 davon kamen zurück. Die Ergebnisse stellte Manuel Märthesheimer vor, der bei der WIT ein duales Studium gemacht und seine Bachelorarbeit zum Thema geschrieben hat.

Eins der Ergebnisse: Die meisten Geschäfte bekommen ihre Pakete außerhalb der erlaubten Lieferzeiten. Vor 10 Uhr werden nur 15 Betriebe angeliefert, nach 18 Uhr sogar nur zwei. Die meisten bekommen ihre Waren zu unterschiedlichen Zeiten, 26 werden zwischen 10 und 12 Uhr beliefert. Was zwei Gründe hat: Zum einen öffnen viele Geschäfte erst um 10 Uhr, zum anderen können nicht alle Lieferanten vor 10 Uhr kommen. Die mit Abstand meisten Geschäfte (91) bekommen ihre Waren von einem Paketdienst angeliefert, 59 von Speditionen. Und, was die Fußgänger längst wissen: Die meisten Lieferfahrzeuge sind Wagen bis 3,5 Tonnen.

Dietmar Hahn, der ab sofort bei der WIT für das Thema Logistik in der Altstadt zuständig ist, berichtete, dass 27 der Befragten keine Änderung der Anlieferungsbeschränkungen wünschen, zwölf sich über zu viel Verkehr beklagt haben und weitere zwölf auf die konsequente Einhaltung der erlaubten Lieferzeiten drängen. „Es gibt die Erkenntnis, dass Handlungsbedarf besteht“, fasste er zusammen.

Das war auch in Konstanz so. Die Stadt am Bodensee hat inzwischen gehandelt. Wie, das stellte die Konstanzer Wirtschaftsförderin Christina Groll vor. Konstanz, sagte sie, habe ein Flächenproblem. Die Stadt ist umgeben von Wasser und Naturschutzgebieten und kann sich nicht weiter ausdehnen. Die Altstadt ist voller enger Gassen, die besonders im Sommer dermaßen voll sind, dass nicht einmal mehr die Rettungsdienste eine Chance haben, durch die Menschenmassen zu kommen. Vor allem an Sommersamstagen drängen Hunderttausende in die Stadt, viele davon sind Schweizer, die dort günstig einkaufen und auch noch für enormen Rückstau an den Zollstellen am Rand der Altstadt sorgen. „Der normale Konstanzer geht samstags nicht in die Stadt.“

Der Konstanzer Gemeinderat beauftragte deshalb vor zwei Jahren die Wirtschaftsförderung, eine Lösung zu erarbeiten und stimmte im Juli 2015 zu, dass Stellplätze für Lieferdienste eingerichtet werden. „Das Problem war aber: wo?“, sagte Groll. Denn wie in Tübingen gibt es auch in Konstanz keine freien Flächen in oder am Rand der Altstadt, auf denen große Parkplätze angelegt werden könnten. So griff die Stadt auf einen bereits bestehenden Parkplatz zu und malte dort drei mal acht Meter große Parkplätze für Lieferdienste auf. Von dort aus können die Pakete unmotorisiert zu den Kunden gebracht werden.

Die Parkplätze wurden zwar zunächst von Privatleuten gut angenommen, die ihre PKW drauf parkten, aber nach ein paar Knöllchen und einer gelben Markierung der Parkplätze bekam die Stadt das in den Griff. Für weitere Lieferdienst-Parkplätze mussten jene Flächen herhalten, auf denen viele Räder wild geparkt waren.

Weil die meisten Lieferdienste gar nicht zu Geschäften, sondern zu Privatleuten fahren, macht Konstanz bei der Transportrad-Initiative nachhaltiger Kommunen (Tink) mit. Inzwischen gibt es in Konstanz 40 an zwölf Stationen ausleihbare Lastenräder, die bis zu 100 Kilo transportieren können. Tink wird vom Bundesverkehrsministerium mit rund 360000 Euro gefördert, was die Ausleihe extrem günstig macht: Die erste Stunde ist kostenlos, danach kostet das Leihlastenrad einen Euro pro Stunde.

Die Tübinger WIT will sich Konstanz zum Vorbild nehmen und einen Lösungsvorschlag erarbeiten. „Dazu brauchen Sie aber einen klaren politischen Auftrag, sonst wird das nichts“, räumte Stadtrat Ernst Gumrich ein. „Den haben Sie schon“, sagte Groll. „Sie haben festgelegte Einfahrtszeiten. Sie müssen nur dafür sorgen, dass die eingehalten werden.“

Bedenken von den Handwerkern

Kreishandwerksmeister Norbert Schnitzler kündigte zwar an, an einer Lösung „konstruktiv mitzuarbeiten“, sagte aber auch: „Wenn das nicht in unsere Richtung geht, steuern wir massiv dagegen.“ Er hat vor allem Bedenken, dass Handwerker nicht mehr in der Fußgängerzone parken dürfen und fürchtet steigende Kosten für Bauherren, wenn das Handwerkerfahrzeug auf kostenpflichtigen Parkplätzen abgestellt werden muss. „In Konstanz erlauben wir Handwerkern, ihre Autos nach 9 Uhr auf Anwohnerparkplätzen abzustellen“, sagte dazu Christina Groll. Das sei, so Schnitzler beruhigt, eventuell eine Möglichkeit.

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Erstellt:
27.01.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 27.01.2017, 01:00 Uhr

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ZuhauseInTübingen 27.01.201710:40 Uhr

Dass man den Lieferverkehr in die Stadt besser koordinieren will bzw. einschränken kann nur der Anfang sein.Gleichzeitig sollte man auch hinterfragen, ob es denn immer die großen 3,5 Tonnen Diesellaster sein müssen, die die Waren bringen. Während der Auslieferung lassen die Fahrer gerne die Motoren weiterlaufen und sorgen so noch für dicke Luft in der Stadtmitte. Weshalb nicht über eine Auflage nachdenken, dass kleine Elektrolieferwagen (wie z.B. die der Post) weiterhin in die Innenstadt liefern dürfen, Dieselfahrzeuge aber draussen bleiben müssen?
Diesen Ansatz sollte man auch für die Betriebseigenen Fahrzeuge der Stadt Tübingen anlegen. Einerseits sucht Tübingen nach Maßnahmen, die Luft in der Stadt zu verbessern (Roller Abwrackprämie), gleichzeitig unterhält die Stadt aber kaum Elektrofahrzeuge um z.B. den Ruhenden Verkehr zu überprüfen oder Mülleimer an Bushaltestellen zu leeren.
Im Jahr 2015 hat Tübingen auch mal einen Elektrobus getestet, wie geht es mit dem Busverkehr weiter?

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