Olympia

Die Traumfabrik des Wintersports

Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft unterstützt seit 25 Jahren deutsche Athleten auf dem Weg zur Medaille. Ein Besuch in den heiligen Hallen der Sportwissenschaft.

23.12.2017

Von MARIUS FALLER

Der Scanner erfasst die Haltung in zwölf Sekunden.  Foto: Bild: Hendrik Schmidt/dpa

Der Scanner erfasst die Haltung in zwölf Sekunden. Foto: Bild: Hendrik Schmidt/dpa

Leipzig. Schon lange vor Olympia sprechen von den perfekten Auftritten: Bei ihren haushohen Siegen in Japan (Grand Prix) und Frankfurt (Deutsche Meisterschaft) zeigte das Vorzeigepaar im Eiskunstlauf, Aljona Savchenko und Bruno Massot, jedes Mal eine sensationelle Kür gespickt mit Höchstschwierigkeiten im Paarlauf. Damit gehören sie bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang zu den Favoriten. Die Grundlagen dafür wurden aber nicht nur auf dem Eis, sondern auch in grauen Gemäuern im sächsischen Leipzig gelegt – hinter verschlossenen Türen und weit weg von Blitzlichtgewitter und Reporterfragen.

Ein alter, dunkelgrüner Gebäudekomplex – die Traumfabrik des Wintersports sieht von außen wenig einladend aus. Innen wirkt alles moderner, gleichzeitig herrscht jedoch eine sterile Atmosphäre. Ein Büroraum reiht sich an den nächsten. Im hinteren Teil des Hauses befinden sich jedoch die Heiligtümer, in an der Realisierung des Medaillentraums getüftelt wird: die Labore und die Testhalle. „Hier sieht es zwar aus wie in einer Turnhalle, tatsächlich ist dies jedoch eine mit Messplatten ausgestattete Forschungshalle“, erklärt Dr. Ulf Tippelt, der Direktor des Instituts für angewandte Trainingswissenschaft (IAT). Dazu gehören noch ein Ergonometriezentrum, Serverräume, die Sportmedizin, eine Technologiewerkstatt und ein Strömungskanal auf dem Gelände der Uni Leipzig. Mit der Universität besteht generell eine Kooperation: „Viele unserer Mitarbeiter kommen über Praktika, Bachelor- oder Masterarbeiten zu uns ins Haus“, sagt Tippelt.

Doch zurück zum Eiskunstlaufpaar: Den dreifachen Flip, den Savchenko und Massot heute nahezu perfekt beherrschen, haben sie Anfang Januar 2015 zum ersten Mal in Leipzig geübt. Dr. Karin Knoll, die Fachgruppenleiterin für Eiskunstlauf am IAT, hat eng mit den beiden zusammenarbeitet, sieht bei dem deutschen Paar noch Potenzial; die Basiswerte seien jedoch gut. „Der grade of execution ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden“, meint Knoll.

Um die perfekte Haltung für die Drehungen und Würfe einzustudieren, hilft deshalb ein Bodyscanner, der sich im Institut befindet. Dieses Gerät erinnert an ein Röntgengerät, innerhalb von zwölf Sekunden wird ein 3D-Bild des Körpers erstellt und Haltungsfehler können sofort am PC analysiert werden. Auch Savchenko ließ sich hier schon ablichten, die Pose darf dabei nicht verändert werden und soll der Flughaltung nachempfunden sein. „Die große Stärke von Savchenko ist das Mentale, das Ansteuern. Zudem ist sie eine Perfektionistin, sie will sich immer verbessern“, so Knoll über die 33-Jährige.

Für die Biathleten gibt es noch eine weitere technische Hilfe vor Ort: Ein hochmoderner Schießmessplatz, der den Sportlern gleich in dreifacher Art und Weise hilft. Zunächst sind Sensoren an der Waffe befestigt, die die Anschlagskräfte messen. Daneben gibt eine Druckmessplatte am Boden Auskunft darüber, wie „sauber“ der Athlet steht oder liegt. Als letztes technisches Hilfsmittel liefern schließlich Highspeed-Kameras Bilder, die Informationen über die Ursache von Schwankungen liefern können.

Für jeden Bereich gibt es Richtwerte, so sollen vor Abgabe des Schusses bereits 80 Prozent der Kraft, die für den Abzug benötigt wird, aufgebracht werden, um Bewegungen möglichst gering zu halten. „Es gibt auch abgespeckte Varianten dieses Messplatzes“, erklärt Dr. Nico Espig, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Biathlon unter anderem mit Laura Dahlmeier zusammengearbeitet hat. „Diese kleineren Modelle können sogar im Hotelzimmer aufgebaut werden“, sagt Espig.

Olympiastrecke simuliert

Eine weitere Apparatur, die sich in der Forschungseinrichtung nahe dem Elsterbecken befindet, ist ein Laufband. Das hört sich zunächst unspektakulär an, dieses kostet jedoch zwischen 100?000 und 150?000 Euro. Auf der drei auf fünf Meter großen Fläche, die mit einer speziellen Oberfläche überzogen ist, läuft gerade Roy, ein Sportstudent – auf Skirollern. Dr. Axel Schürer, der Fachgruppenleiter für Skilanglauf, erklärt nebenbei die Besonderheiten des Geräts.

Hier wurde das Streckenprofil für Pyeongchang eingespeichert, das zuvor vor Ort abgelaufen und abgemessen wurde. Jede Steigung bis zwölf Prozent lässt sich nachstellen und sogar eine Abwärtsneigung ist möglich. „Damit kann man Muster aufbrechen und Athleten sukzessive an Geschwindigkeiten heranführen, die sie aus eigener Kraft gar nicht schaffen würden“, sagt Schürer. „Wenn man dieses Tempo dann eine Weile aufrechterhält, kommt man an die Reserven heran. Dieses supramaximale Training kann beispielsweise für den Schlusssprint hilfreich sein.“

Plötzlich gibt es einen Knall und Roy liegt am Boden. Er bleibt zwar unverletzt, dennoch spricht Schürer vom „Worst Case“. Normalerweise sind Stürze nicht möglich, eine spezielle Halterung (ähnlich eines Klettergurtes) sichert die Athleten. Für die Demonstration hatte Roy diesen jedoch nicht angelegt.

Mit Hilfe modernster Technik lassen sich die Leistungsgrenzen der Sportler also immer weiter nach oben schieben. Im Institut wird wie in einer Fabrik daran gearbeitet, Träume in Form von Medaillen zu erfüllen. Der Sturz von Roy zeigt jedoch auch, dass immer noch Menschen am Werke sind und Fehler zum Sport dazugehören – und diesen auch so unberechenbar machen.

Auch mit Hilfe neuester Technik schafft es Savchenko, selbst in luftigen Höhen die Körperspannung aufrecht zu erhalten. Foto: dpa

Auch mit Hilfe neuester Technik schafft es Savchenko, selbst in luftigen Höhen die Körperspannung aufrecht zu erhalten. Foto: dpa

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Erstellt:
23.12.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 23.12.2017, 06:00 Uhr

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