Tübinger Ract-Festival

Die Tasse ist kurz vorm Kippen

Am Freitagnachmittag startete im Anlagenpark das 13. „Ract“. Mit dabei: Die Fridays for Future-Bewegung, die einen eigenen Workshop anbot.

07.06.2019

Von Peter Strigl

Politische Workshops, wie hier über vegane Ernährung, gehören wie die Musik zum „Ract“-Festival dazu. Bild: Anne Faden

Politische Workshops, wie hier über vegane Ernährung, gehören wie die Musik zum „Ract“-Festival dazu. Bild: Anne Faden

Das letzte Gitter war noch nicht auf-, der Ton noch nicht richtig eingestellt, da drängte schon die erste Hundertschaft lärmend durch den Einlass des Ract-Festivals. Die Menge forderte allerdings keine Musik und Getränke, sondern den Kohleausstieg. Angeführt von Politikstudentin Anneke Martens enterte der Demozug von Fridays for Future an der letzten Kundgebung vor Pfingsten das Gelände des 13. Ract. Die Aktion war allerdings abgesprochen: „Wir fanden die Idee cool, das zu vernetzen“, sagte Martens. „Ich sympathisiere auf jeden Fall mit der Bewegung“, sagte auf der anderen Seite Friederike Steinacker vom Orga-Team des Ract.

„Über-Morgen Nachdenken“ ist in diesem Jahr das Motto des Festivals. „Ein Motto zum Nachdenken“, erläuterte Steinacker. Neben seiner kulturellen Rolle versteht sich das Ract auch als politisch. „Es ist ein elementarer Teil, Kulturelles mit Inhaltlichem zu verbinden“, erklärt Mit-Organisator Sebastian Pflaum. Deswegen gibt es vor den Konzerten auch Workshops zu verschiedensten Themen: von Wohnen über Stadtbahn bis hin zu Klima eben. „Wir haben Workshops zum Klimawandel, Artenschutz, Vegetarismus und Veganismus“, sagte Pflaum.

Derlei Themen gab es zwar schon früher, die Organisatoren des Ract erhoffen sich durch die Kooperation mit den Schülerdemos jedoch größere Aufmerksamkeit für ihr politisches Anliegen. „Der Zuspruch hängt stark vom Wetter ab“, sagte Pflaum. Bei einem Workshop über Stadtpolitik und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer etwa reichte der Platz im großen Zelt nicht aus, bei anderen kommt niemand.

Diesmal gab es einen eigenen Workshop der Fridays for Future-Aktivisten Maya Inie und Timon Crienitz. Und der war rappelvoll. Dabei hatte es eigentlich bei der Koordination gehapert: Die Demonstranten wurden von den Tontechnikern von der Bühne vertrieben. So entstand eine Lücke zwischen Demo und Workshop.

Inie und Crienitz veranschaulichen den Klimawandel an einer Tasse: „Wenn wir über 1,5 Grad kommen, fällt die Tasse runter“, erklärte Crienitz lapidar. Dann gerate nämlich das in den Permafrostböden gebundene Methan in die Atmosphäre. An diesem Kipppunkt seien die Veränderungen nicht mehr aufzuhalten. Die Folge: Anstieg des Meeresspiegels, Naturkatastrophen und Fluchtbewegungen von nie dagewesenem Ausmaß. Auf 400 Millionen schätzt der Weltklima-Rat die Flüchtlingszahlen bis 2050.

Damit die Tasse nicht fällt, fordern die Referenten strengere Auflagen für Industrie und Landwirtschaft, aber auch persönlichen Verzicht. Wenn man mit dem Zug von Hamburg nach München fahre anstatt zu fliegen, würde so eine viertel Tonne CO2 eingespart. Das sei nötig um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen: „Wenn wir so weitermachen, sind es nur noch acht Jahre und sieben Monate bis zum Kipppunkt“, warnt Crienitz. „Acht Jahre und fünf Monate“, verbessert eine Zuhörerin aus dem Publikum.

Der Samstag auf dem Ract

Am heutigen Samstag lädt das Ract nochmal zum Lernen und Feiern ein. Die Workshops beginnen um 15 Uhr mit „Wohnen darf kein Luxus sein“. Musikalisch legen zuerst Mess up your DNA um 16 Uhr auf der Bühne Mitte los. Eine Viertelstunde später beginnt Soul Mam auf der Bühne Ost. Die Tübinger Band Skipjacks spielt ebenda um 19.15 Uhr. „Man kann aber auch einfach so vorbeikommen und auf der Wiese chillen“, sagte Mit-Organisator Sebastian Pflaum.