Die Sanfte

Die Sanfte

Eine Frau auf den langen Weg zu ihrem inhaftierten Mann, um von einem unmenschlichen Staatsapparat Gerechtigkeit einzufordern.

09.05.2018

Von Dorothee Hermann

Nicht viele fahren freiwillig nach Sibirien. Alyonka (Vasilina Makovtseva) tritt die Reise an, als das Paket, das sie ihrem Mann ins ferne Gefängnis schicken wollte, als unzustellbar zurückkommt. Die Frau mit dem meist unbewegten, auch schicksalsergebenen Gesichtsausdruck lässt alles zurück, was eine gewisse Geborgenheit versprach: das dunkle Holzhäuschen und den Hund, den Job an einer kleinen Tankstelle.

Sie holt ein besonderes Kleid aus dem Schrank und setzt sich in den Zug nach Sibirien, um dem Inhaftierten persönlich zu überbringen, was er doch benötigt: Lebensmittel, Kleidungsstücke und Zigaretten. Im Abteil geht es hoch her. Erinnerungen an den Sieg im Zweiten Weltkrieg („Wir hätten die Welt beherrschen können“) treffen auf die individualisierten Lasten gegenwärtiger Konflikte (der Sohn einer sichtlich verstörten Mitfahrerin ist gefallen). Ein Glas Tee ist angenehm reichlich bemessen, kostet aber so viel, dass kleine Leute wie Alyonka es sich aus eigenem Vermögen nicht leisten können.

In seinem dritten Spielfilm stellt der in Berlin lebende ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa die nachkommunistischen Verhältnisse gerne anhand ihrer Verkehrsmittel dar. Es wirkt fast befreiend lächerlich, als die beengte Zwangsgemeinschaft in einem klapprigen alten Bus durcheinandergeschüttelt wird, und die Körper im selben Takt einem ungewissen Ziel entgegenzuwabbeln scheinen. Doch das Komische wird bald von einer wachsenden Verdüsterung verdrängt. Der harsche Realismus wird durch albtraumähnliche Sequenzen noch intensiviert.

Die Frau, die sich nicht damit abfinden möchte, dass ein Mensch, ihr Mann, spurlos verschwunden sein soll, gerät in einen immer tieferen Strudel von Vulgarität und Gewalt, lange bevor sie das Gefängnis überhaupt erreicht hat. Ein ebenso hilfsbereiter, durchblickender wie schmieriger Chauffeur macht die Fahrt in seinem Taxi zu einer noch unangenehmeren Art der Fortbewegung als die öffentlichen Transportmittel.

Als sich das Gefängnis schließlich vor Alyonka erhebt, wirkt es wie eine kafkaeske Fata Morgana, surreal trotz der Trutzburg-Architektur einer ehemaligen Kaserne. Eine gewöhnliche Frau wie sie scheint im speziellen Kosmos der Gefängnisstadt (beziehungsweise Russlands, wie der Regisseur es sieht) nicht mehr vorgesehen.

Weibliches Gegenstück zu Kafkas (oder Dostojewskis) verzweifelten Helden hält auch Putins Machismo den Spiegel vor.