Clemens Fuest

„Die Regierung braucht einen Businessplan“

Eine Analyse des Ifo-Chefs, wie sich die Pläne der Ampelregierung und Corona auf Konjunktur und Staatsschulden auswirken – und was zu tun ist.

27.11.2021

Von Ulrich Becker und Alexander Bögelein

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts: „Wir brauchen nachhaltiges Wachstum, um aus der Krise zu kommen.“ Foto: Kay Nietfeld/dpa

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts: „Wir brauchen nachhaltiges Wachstum, um aus der Krise zu kommen.“ Foto: Kay Nietfeld/dpa

München. Corona belastet Wirtschaft und Menschen. Unternehmen leiden unter steigenden Kosten und Lieferproblemen. Für Ifo-Chef Clemens Fuest lautet aktuell die zentrale Frage, „wie sich die Wirtschaft erholen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehren kann, von dem die breite Bevölkerung profitiert“. Dieses Ziel sei allerdings nicht leicht zu erreichen, sagt Fuest, der zu den prominentsten Ökonomen des Landes gehört. Ein Gespräch über die Inflationsgefahr und die Pläne der Ampelregierung.

Die Corona-Lage spitzt sich derzeit extrem zu. Wie sehr würde ein erneuter Lockdown die Wirtschaft belasten?

Prof. Dr. Clemens Fuest: Wir sollten nicht vergessen, die Gefahr auch für die Wirtschaft geht primär von den Infektionen aus, nicht von staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung. Jedoch ist die Situation in dieser Coronawelle eine grundlegend andere als im vergangenen Jahr.

Wie meinen Sie das?

Der Unterschied ist, dass zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sind. Wirtschaftlicher Schaden durch die Pandemie entsteht vor allem, weil Menschen sich vor Infektionen fürchten, nicht mehr in Urlaub fahren, nicht mehr ins Restaurant gehen und sich auch ansonsten zurückhalten. Da aber viele Menschen geimpft sind und 2G- und 2G-Plus-Regeln verhängt werden können, ist vieles möglich, was im letzten Winter nicht ging. Daher gehe ich davon aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Coronawelle weniger gravierend sind als im vergangenen Winter. Das gilt allerdings nur, solange die Krankenhäuser nicht so überlastet sind, dass ein Lockdown auch für Geimpfte der letzte Ausweg ist.

Fällt der einheimische Konsum als Konjunkturtreiber aus, weil die Menschen weniger einkaufen und auch weniger Geschenke kaufen?

Das denke ich nicht. Die Frage ist vielmehr, ob die richtigen Produkte verfügbar sind, weil auch das Weihnachtsgeschäft von gravierenden Lieferproblemen betroffen ist. Da Ausgaben für Restaurants und Reisen wegen der Pandemie teilweise entfallen, wird aber vermutlich letztlich eher mehr für Weihnachtsgeschenke ausgegeben.

Lieferengpässe machen auch der Industrie stark zu schaffen, viele Firmen kündigen höhere Preise an. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Die Situation ist ernst. Wir hatten zwar auch schon in früheren Krisen Lieferprobleme, aber nicht in dieser Dimension. In den vergangenen drei Jahrzehnten hatten wir in den Befragungen des Ifo-Instituts maximal 20 Prozent der Industrie-Unternehmen, die von Lieferproblemen berichteten. Derzeit sind es 70 Prozent.

Wie lange wird das so bleiben?

Bei unseren Befragungen lautete die Antwort im Schnitt acht Monate. Das Problem wird sich weit ins Jahr 2022 hineinziehen.

Befürchten Sie Zweitrunden-Effekte und eine Lohn-Preis-Spirale bei den anstehenden Tarifrunden 2022?

Die Gefahr gibt es. Viel wird davon abhängen, wie lange die Lieferprobleme dauern und wie die Wirtschaft darauf reagiert. Die Inflationsentwicklung wird stark von der Entwicklung der Energiepreise abhängen und längerfristig auch davon, wie die Tarifverhandlungen laufen. Wenn die Tarifparteien erwarten, dass sich die Inflation verfestigt und entsprechend hohe Abschlüsse vereinbaren, würde das zu einer Lohn-Preis-Spirale führen.

Muss die Europäische Zentralbank geldpolitisch gegensteuern?

Für die EZB ist das eine schwierige Situation. Wenn die EZB der Meinung ist, dass es sich um eine nur vorübergehend erhöhte Inflation handelt, ist es richtig, nichts zu tun. Wenn sich die Inflation verfestigt, muss sie etwas tun. In gewisser Weise hat sie das schon getan, indem sie neuerdings einräumt, dass Inflationsrisiken vorhanden sind. Mir fehlt noch eine deutlichere Ansage der EZB, dass höhere Inflationserwartungen und entsprechende Tarifabschlüsse eine geldpolitische Straffung zur Folge haben würden.

Wie stark engen die durch Corona gestiegene Staatsschulden den Spielraum der Ampelregierung ein?

Deutschland ist weit davon entfernt, sich nicht mehr zusätzliches Geld an den Finanzmärkten leihen zu können. Da die Zinsen derzeit gleich null sind, entsteht keine zusätzliche Belastung durch Zinszahlungen. Aber das kann sich ändern. Man sollte außerdem daran denken, dass es auch in Zukunft Krisen gibt, in die man nicht hoch verschuldet gehen will. Das kurzfristige Senken der Staatsverschuldung hat für mich aber nicht die höchste Priorität. Wichtiger ist es, dass wir mit nachhaltigem Wachstum aus der Krise herauskommen. Das hilft, die Verschuldungsquote zu senken.

Die Ampelregierung will investieren und die Schulden in Neben- und Schattenhaushalten verstecken. Wie bewerten Sie die Pläne?

Es gibt in Bereichen wie Dekarbonisierung und Digitalisierung nötige Investitionen. Aus dieser Einsicht wird oft direkt gefolgert, es müssten mehr Schulden aufgenommen werden. Dabei wird das Pferd von hinten aufgezäumt, das ist der falsche Ansatz.

Was ist der richtige Ansatz?

Wir brauchen zuerst eine Art Businessplan für diese Regierung, der die Investitionen möglichst genau beschreibt und konkretisiert. Viele der Investitionen, um die es hier geht, können privat organisiert und finanziert werden, teilweise benötigt man da staatliche Unterstützung. Danach muss der Finanzbedarf erhoben werden. Der nächste Schritt besteht darin, vorhandene Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen. Wir brauchen eine ernsthafte Debatte darüber, welche Ausgaben wir umschichten können. Dazu gehört zum Beispiel auch, Lücken im Steuersystem zu identifizieren. Erst wenn dadurch ein signifikanter Beitrag geleistet worden ist, sollte man für den Rest über Kreditfinanzierung nachdenken.

Wie beurteilen Sie den neuen Kurs der Finanzpolitik?

Die Investitionsvorhaben der Ampel werden durch mehrere Instrumente finanziert. Ich halte die Kombination aus Ausgabenkürzungen und Kreditaufnahmen im Rahmen der Schuldenbremse für sinnvoll. Ich denke, dass die Vorhaben mit diesem Maßnahmenpaket finanzierbar sind. Genau lässt sich das aber erst beurteilen, wenn die Pläne konkret werden.

Wie sehen Sie die geplante Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro?

Ich sehe die Erhöhung kritisch. Wir sind derzeit in einer Situation, in der Arbeitskräfte in vielen Bereichen knapp sind. Insofern wird diese Erhöhung voraussichtlich nicht zu großer Arbeitslosigkeit führen. Sie wird zu höheren Kosten führen, die die Unternehmen stark an die Verbraucher weitergeben werden, gerade bei regionalen Dienstleistungen wie Gastronomie oder Taxigewerbe.

Und was stört Sie?

Ich finde die Politisierung des Mindestlohns problematisch. Als dieser eingeführt wurde, hat man sich entschieden, dass eine Kommission der Tarifpartner regelmäßig Vorschläge für die Erhöhung des Mindestlohnes machen soll. Ich war selbst fünf Jahre Mitglied der Kommission. Da sitzen Arbeitgeber und Gewerkschaften und haben eine Leitlinie: Der Mindestlohn soll sich entwickeln wie die anderen Tariflöhne, aber nicht den Takt vorgeben. Das ist Aufgabe der Tarifparteien. Dieses Prinzip hat man durchbrochen und die Mindestlohnhöhe zum Thema von Wahlkämpfen gemacht. Das ist gefährlich, weil es zu einem Überbietungswettbewerb kommen kann. Das wird sich nicht zurückdrehen lassen.

Promovierter Volkswirt

Clemens Fuest ist einer der bekanntesten deutschen Ökonomen. Der promovierte Volkswirt, 1968 in Münster geboren, lehrt an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Zuvor war er Professor in Köln, Oxford und Mannheim. Von 2013 bis 2016 leitete er das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Seit April 2016 ist er Präsident des Ifo-Instituts. Er ist zudem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen, dessen Vorsitzender er von 2007 bis 2010 war.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (kurz Ifo) ist eine Forschungseinrichtung, die sich mit der Analyse der Wirtschaftspolitik befasst. Seit 1972 gibt es den Ifo-Geschäftsklimaindex heraus, der auf einer monatlichen Befragung von 9000 deutschen Unternehmen beruht.

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Erstellt:
27.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 33sec
zuletzt aktualisiert: 27.11.2021, 06:00 Uhr

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