Corona

Die Pflegerin und der Piks

Im Südwesten hat das Impfen begonnen. Eine Pflegerin erhält die erste Spritze. Sie arbeitet auf einer Isolierstation für Covid-19-Patienten. Vor dem Land liegt eine Mammutaufgabe.

28.12.2020

Von DPA

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) steht in der Impfstoffaufbereitung im Impfzentrum des Klinikum Stuttgart. Dort haben am Sonntag die Impfungen begonnen. Foto: Marijan Murat/dpa

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) steht in der Impfstoffaufbereitung im Impfzentrum des Klinikum Stuttgart. Dort haben am Sonntag die Impfungen begonnen. Foto: Marijan Murat/dpa

Plötzlich ist der Moment da, auf den alle so lange gewartet haben. Und deshalb wird es auch ganz still. Kameras richten sich auf Christine Helbig. Die Pflegerin sitzt in grüner Schwesternkluft in der Stuttgarter Liederhalle in Impfkabine 7 auf einem Hocker. Helbig wartet auf den Piks, der Millionen Menschen im Land nun bevorsteht. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beobachtet das Geschehen. Als die Spritze sich in Helbigs Oberarm bohrt, blickt die 30-Jährige nur ganz kurz nach unten – kein Zucken, kein Murren, kein Wegdrehen. Danach noch ein Tupfer und fertig. „Klein, aber fein“, kommentiert sie die Spritze. Kretschmann spendet spontan Beifall. Und Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) ist ganz außer sich. „Das ist ja wie Weihnachten“, ruft er.

Knapp ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland hat das Impfen gegen das Virus auch im Südwesten begonnen. Am Sonntag wurden landesweit Menschen über 80 sowie Pflegekräfte und besonders gefährdetes Krankenhauspersonal geimpft. Die Impfzentren nahmen ihren Betrieb auf, mobile Teams fuhren zudem Pflege- und Seniorenheime ab. Kretschmann sprach beim offiziellen Auftakt in der Stuttgarter Liederhalle vom „Beginn vom Ende der Pandemie“.

In der Liederhalle hat die Pflegerin Helbig am Sonntag die erste Spritze bekommen – im Beisein von Dutzenden Vertretern aus Politik, Medien und Medizin. Dabei steht die junge Frau gar nicht gern im Mittelpunkt. „Ich bin nicht gewohnt vor Kameras zu stehen“, sagt sie. Aber sie sei eben gefragt worden. „Eine muss ja die Erste sein.“ Dass gerade sie im Rampenlicht gespritzt wird, hat Symbolkraft. Seit Monaten kämpft sie an vorderster Front gegen das Virus. Christine Helbig arbeitet in Stuttgart auf einer Isolationsstation mit Covid-19-Patienten.

Direkt von der Frühschicht kommt sie am Sonntagmittag in die Liederhalle. Wegen ihres Jobs gehört sie zu den Menschen, die mit höchster Priorität geimpft werden dürfen. Sie freue sich auf die Spritze, sagt sie. Denn sie muss jeden Tag aus nächster Nähe mit ansehen, wie tödlich das Virus sein kann. „Ich möchte kein Corona bekommen, weil ich die Patienten sehe.“ Corona sei unberechenbar, oft nehme eine Erkrankung ganz schnell und unerwartet einen schweren Verlauf. Der Tod gehöre zum Alltag, sagt Helbig. Täglich telefoniere sie mit den Familien der Erkrankten. „Es ist traurig, wenn an Weihnachten Angehörige die Sachen der Verstorbenen abholen müssen.“

Helbig hofft, dass der Impfstoff die Pandemie in den Griff bekommt. Sie kommt ursprünglich aus Sachsen-Anhalt, seit 2010 arbeitet sie am Klinikum Stuttgart. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen, Holger Helbig, 32. Die beiden haben erst vor wenigen Wochen geheiratet – coronabedingt nur mit den Eltern im Standesamt. Auch Holger Helbig hat sich am Sonntag in der Liederhalle gleich impfen lassen.

Nach rund einer halben Stunde steht Christine Helbig mit einem roten Blumenstrauß vor der Liederhalle und fühlt sich prächtig. Sie trägt eine Maske, aber das Lächeln kann man ihr von den Augen ablesen. „Das war wie jede andere Impfung auch. Kein großes Hexenwerk.“ Den Termin für die zweite Spritze in drei Wochen hat sie auch schon. Für ihre Arbeit auf der Corona-Station ändere das aber erstmal nichts. „Ich muss mich trotzdem weiter schützen.“ Nico Pointner, dpa