Skispringen

Die Nacht der großen Gefühle

Nach seinem ersten Einzelgold kommt Andreas Wellinger aus dem Weinen nicht mehr heraus. Bundestrainer Werner Schuster hat er viel zu verdanken.

12.02.2018

Von MANUELA HARANT

Am Ziel eines Kindheitstraumes: Andreas Wellinger ist von seinem Gold-Coup überwältigt. Dabei steht der 22-Jährige noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung. Foto: Andreas Rentz/Getty

Am Ziel eines Kindheitstraumes: Andreas Wellinger ist von seinem Gold-Coup überwältigt. Dabei steht der 22-Jährige noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung. Foto: Andreas Rentz/Getty

Pyeongchang. An den Reaktionen von Andreas Wellinger und Bundestrainer Werner Schuster war genau abzulesen, was ein Olympiasieg mit einem Menschen macht: Das Wissen, den größtmöglichen aller Siege im Sport ergattert zu haben, setzt überbordende Gefühle in Gang. Anders ist es auch nicht zu erklären, was beim Aufleuchten der Goldmedaille neben Wellingers Namen passierte: Der Olympiasieger brach von den Emotionen überwältigt sofort in Tränen aus, sein Coach sprang spontan über die Bande und herzte die versammelte Prominenz um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Ich weiß nicht, ob er sich beim Arme hochreißen die Schulter ausgekugelt hat“, scherzte Wellinger hinterher. Hat er natürlich nicht.

Doch der Ausnahmezustand nach dem ersten Einzelgold seit 1994 währte nicht nur ein paar Minuten, sondern zog sich durch die ganze Nacht. „Zum Glück haben die Kaschper den Wettkampf nicht abgebrochen“, freute sich Coach Schuster und hüpfte siegestrunken wie ein Kind davon. Wellinger gab unter Freudentränen tapfer Interviews. Immer wieder stockte seine Stimme, immer wieder musste er sich umdrehen und die feuchten Augen trocknen – selbst gestern noch nach der Feier-Nacht im Deutschen Haus. „Ich könnte die ganze Zeit heulen, weil es so geil ist. Wenn man mal darüber nachdenkt, dass der eigene Name neben einer Goldmedaille steht – das ist so unfassbar“, sagte der 22-Jährige, der mit 113,5 m jetzt auch den Schanzenrekord hält.

Als Teenager durchgestartet

Der Olympiasieger und sein Entdecker – die Beziehung von Andreas Wellinger und Werner Schuster ist ohnehin eine besondere. Wellinger, der erst mit 15 von den Kombinierern zu den Spezialspringern gewechselt war, rückte schon zwei Jahre später in den Fokus des Bundestrainers, der den jungen Ruhpoldinger nach einem starken Sommerlehrgang sofort ins Weltcupteam beorderte. „Das gibt es natürlich nicht häufig, dass man so junge Sportler ins Weltcup-Team integrieren kann“, erinnerte sich Schuster gestern. „Aber schon damals waren für mich die körperlichen, technischen und mentalen Anlagen sichtbar. Da wusste ich: Wenn die zur Entfaltung kommen, dann ist Größeres möglich.“

Prompt wurde Wellinger 18 Monate später zum ersten Mal Olympiasieger – mit dem Team. Doch danach folgte eine Durststrecke. Vielleicht weil der Erfolg zu früh gekommen war. Sicher aber, weil der Teenager erst erkennen musste, dass dauerhafter Erfolg im Skispringen eine Kunst ist, hinter der viel Arbeit steckt.

Und so weiß Schuster, dass man seinen Schützling auch wieder auf den Boden zurückholen muss: „Den letzten Schritt muss er noch machen, um ein richtiger Profi zu sein, und da ist er auf einem ganz guten Weg“, wirkte Schuster gestern gleich der Glorifizierung seines Weltklassespringers entgegen. Was zunächst hart klingt, begründete der Österreicher in deutschen Farben jedoch schlüssig: „Mal aufblitzen können viele, aber stabil und konsequent das zu erarbeiten ist nochmal eine andere Nummer.“

Mit seinen 22 Jahren ist der nun zweimalige Olympiasieger immer noch der Jüngste im Team. Schuster setzt seinem besten Mann bewusst immer höhere Ziele, an denen er noch lange wachsen kann. Dies hat auch Wellinger verinnerlicht: „Der Prozess wird nie vorbeigehen. Ich entwickle mich als Sportler weiter, als Mensch, und auch das Umfeld ändert sich. Da heißt es ständig dranbleiben, weiterarbeiten und das Beste rausholen.“ Die Spiele haben ja gerade erst begonnen.