Schule

Die Kehrtwende: Ministerium setzt nicht mehr auf Microsoft in Schulen

Jahrelang plant das Kultusministerium Microsoft-Produkte für die Bildungsplattform ein. Nun kommt die Bremse – mit unabsehbaren Folgen.

23.07.2021

Von AXEL HABERMEHL

Zurück auf Los: Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), setzt Teile der geplanten Bildungsplattform neu aufs Gleis. Foto: Bernd Weißbrod/dpa Foto: Bernd Weissbrod

Zurück auf Los: Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), setzt Teile der geplanten Bildungsplattform neu aufs Gleis. Foto: Bernd Weißbrod/dpa Foto: Bernd Weissbrod

Stuttgart. An einem Freitag im Juni 2018 fand in Stuttgart ein Treffen statt, dessen Folgen die Schulpolitik in Baden-Württemberg bis zum heutigen Tag beschäftigen. Die Amtschefin der damaligen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kam mit dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Stefan Brink zusammen. Thema: Bewertung eines Einsatzes von „Microsoft Office 365“ im Rahmen einer digitalen Bildungsplattform für Schulen.

Ein heikles Treffen. Denn dass man im Ministerium über Microsoft-Produkte für jene Plattform nachdachte, auf der der Schulunterricht im Land ins digitale Zeitalter transferiert werden soll, war öffentlich unbekannt. Das Treffen fand gut drei Monate vor jenem denkwürdigen Tag statt, an dem Eisenmann öffentlichkeitswirksam das bisherige Projekt unter dem Namen „Ella“ stoppte.

„Ella“ ging als Millionengrab in die schulpolitische Geschichte des Landes ein. Später stellte sich heraus, dass Eisenmann, die das Projekt von der Vorgängerregierung geerbt hatte, mit der Entscheidung Kosten von rund 6,5 Millionen Euro in Kauf nahm – und einen kompletten Neustart.

Bei diesem setzten Eisenmanns Leute schnell vor allem auf eine Karte: Microsoft. Zwar sollte die geplante Plattform aus einer Reihe von Bausteinen zusammengefügt werden: Lernmanagementsysteme, Chatmessenger und mehr. Doch für wichtige Module wie Lehrer-Mailadressen, Bürosoftware und einen Cloudspeicher plante man „Office 365“ ein.

Brinks Skepsis, ob dies alles mit dem Datenschutz vereinbar ist, wischte man in der eigens für das Projekt eingerichteten Stabsstelle beiseite. Seit dem gestrigen Donnerstag ist klar: Die Pläne sind erneut gescheitert. Am Vormittag ließ Eisenmanns Nachfolgerin, die neue Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), ein Schreiben an alle Schulen im Land verschicken. Darin teilt sie mit, dass sie aufgrund von Datenschutz-Bedenken entschieden habe, Aufträge für mehrere wichtige Bausteine der Plattform auszuschreiben.

Negativer Modellversuch

Schopper trägt damit Brinks Vorbehalten Rechnung. Der hatte Ende April nach einer Auswertung eines Pilotprojekts zu den Microsoft-Komponenten empfohlen, „von der Nutzung der erprobten MS-Produkte im Schulbereich abzusehen“. Nicht nur hatte er „zahlreiche Datentransfers in die USA, die nicht unterbunden werden können“, festgestellt, was laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs problematisch sei. Auch verarbeite Microsoft Nutzerdaten „im Wege der Beobachtung, Aufzeichnung und Auswertung des Nutzer- und Geräteverhaltens ohne erkennbare Rechtsgrundlage“ weiter. Dies sei besonders problematisch, als es sich bei Nutzern künftig um minderjährige Schüler handeln könnte.

Schopper schreibt nun, sie habe Brinks „Empfehlung für den Schulbereich akzeptiert“. Durch die Ausschreibung wolle man „so bald wie möglich eine sichere und datenschutzkonforme Lösung zur Verfügung stellen“.

Klar ist: Das Projekt, das auf einen Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2015 zurückreicht, verzögert sich erneut. Intern rechnet man im Ministerium mit mindestens einem bis anderthalb Jahre. Auch die Kosten des Projekts dürften steigen. Die Preise von Microsoft, das haben Ministeriale oft betont, seien konkurrenzlos günstig.

Völlig unklar ist, was der Schritt für rund 1200 Schulen im Land bedeutet, die Microsoft-Software wie das Programm „Teams“ bereits auf eigene Verantwortung für Unterricht nutzen. Schopper schreibt zwar: „Soweit Schulen derzeit Microsoft Produkte einsetzen, wird der LfDI diese mit Blick auf die Gesamtlösung nicht pauschal untersagen, bis das Land eine datenschutzkonforme Lösung gesamtheitlich zur Verfügung stellt.“ Sie freue sich sehr, „dass wir gemeinsam mit dem LfDI nun eine Lösung im Sinne der Schulen gefunden haben und damit die Durchführung digitalen Unterrichts auch zukünftig an den Schulen sichergestellt werden kann“.

Doch so einfach ist es wohl nicht. Brink bestätigte zwar gegenüber dieser Zeitung, dass er kein pauschales Verbot auszusprechen gedenke. Er setze auf Kooperation und Beratung der Schulen. Jedoch sagt er auch: „Das ist kein Freibrief und keine pauschale Duldung. Wir gehen auch weiterhin jeder Beschwerde über die Nutzung von Microsoft-Produkten an Schulen nach.“ Derzeit lägen seiner Behörde Beschwerden in einer hohen zweistelligen Zahl vor.

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Erstellt:
23.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 54sec
zuletzt aktualisiert: 23.07.2021, 06:00 Uhr

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